Nachhaltigkeit, Wert & Resilienz durch Beschaffung

August 30, 2020 Saskia Hornivius

Die Coronakrise hat die Schwachstellen in der Beschaffung mit all ihren Auswirkungen in der Praxis aufgedeckt. Nachhaltigkeitsmanagementsysteme und das «global sourcing» wurden bis an die Grenzen getestet. Gleichzeitig hat die Pandemie die Notwendigkeit widerstandsfähiger Lieferketten verdeutlicht. Einkauf und Supply Chain stehen vor neuen Herausforderungen - und vor neuen Chancen. 

Der Supply Chain Resilience Report 2018 des Business Continuity Institute zeigte, dass 56% der Unternehmen aus 76 Ländern in den 12 Monaten vor der Befragung eine Unterbrechung der Lieferkette erlitten hatten. Darüber hinaus standen 23% der Vorfälle in der Lieferkette im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. In der Zwischenzeit hatten Anfang März 2020 bereits 75% der US-Unternehmen aufgrund der Coronavirus-Krise Lieferkettenunterbrechungen zu verzeichnen.

Der aktuelle Business Sustainability Risk & Performance Index hat ebenfalls gezeigt: Lieferketten waren vor der COVID-19-Krise extrem verwundbar. Auswertungen von 35.000 Lieferantenbewertungen ergaben, dass für jede Branche mehr als ein Viertel der Lieferanten keine Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten und der ordnungsgemäßen Arbeitsbedingungen ergriffen haben und dass sie diese und andere wichtige Sorgfaltspflichtindikatoren ihrer eigenen Lieferanten nicht überwachen. Innerhalb des Themas "Nachhaltige Beschaffung", das die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette umfasst, ist die "CSR-Risikoanalyse von Lieferanten" die Maßnahme mit dem niedrigsten Umsetzungsgrad. Nur 3% der bewerteten Unternehmen führten sie in ihrem jeweiligen Zuliefererbestand durch. Dieses Defizit ist besonders besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass in der gegenwärtigen Gesundheitskrise Analysen der Lieferantenkategorien und Länderrisiken ein grundlegendes Instrument für vorausschauende Erkenntnisse und Risikominderung sind.

 

Diversifikation der Lieferquellen macht resilient 

Unternehmen müssen jetzt in dieser Rebound-Phase damit beginnen zukünftige Lieferquellen zu diversifizieren und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeitsleistung zu überprüfen, wenn sie zukunftsfähig werden und auf mögliche weitere COVID-19-Wellen und andere Krisen vorbereitet sein wollen. Die gravierenden Einbrüche und Konsequenzen, welche die derzeitige Pandemie aufgezeigt hat, erlauben Unternehmen keine Rückkehr zur altbekannten Normalität, sondern machen eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete und damit einhergehend widerstandsfähigere Wertschöpfung zur neuen, unausweichlichen Normalität.

 

Lieferkette stärkster Nachhaltigkeitshebel

Angesichts des enormen Einflusses, den die Lieferkette auf Nachhaltigkeit hat, sind Unternehmen zunehmend bestrebt, ihre Beschaffungspraktiken zu ändern und strukturierte nachhaltige Beschaffungsprogramme zu implementieren. In der jetzigen Phase sollten Unternehmen ihre Geschäftsbereiche systematisch erfassen und Krisenszenarien inklusive potenzieller Auswirkungen definieren, um ihr Business Continuity Managementsystem auf zukünftige interne und externe Störungen, seien es umwelt- oder gesundheitsbezogene, in globalem Ausmaß vorzubereiten und Maßnahmen zu implementieren, die eine Weiterführung oder eine zeitnahe Wiederaufnahme ihrer Geschäftsaktivitäten sicherstellen. Nachhaltigkeitsmanagementsysteme und nachhaltige Beschaffungsprogramme werden dabei zu strategischen Maßnahmen in Business Continuity Managementsystemen.

"Ohne ganzheitliches Nachhaltigkeitsmanagement werden Organisationen weiterhin unter Unterbrechungen in der Lieferkette leiden." Pierre-Francois Thaler, Co-CEO, EcoVadis

Es hat sich gezeigt, dass in diesen schwierigen Zeiten Unternehmen, die sich durch unternehmerische Nachhaltigkeit auszeichnen, ihre Mitbewerber übertroffen haben. Unternehmensnachhaltigkeit stärkt die Widerstandsfähigkeit nicht nur durch verbesserte Lieferantenbeziehungen, sondern auch durch Maßnahmen für Transparenz, sichere Arbeitsumgebungen und das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Nachhaltigkeit und nachhaltige Beschaffung sind im ersten Schritt ein Kostenfaktor, die Daten aus dem neuesten Sustainable Procurement Barometer zeigen jedoch, dass es einen klaren ROI gibt, wenn man sich entlang der Reifegradkurve für nachhaltige Beschaffung bewegt. Sustainable Procurement Leaders - Unternehmen, die führend in Bezug auf Engagement und Reife ihres nachhaltigen Beschaffungsprogramms sind und die eine Reihe von Kriterien erfüllen, die den Reifegrad ihrer nachhaltigen Beschaffungsprogramme anzeigen - erzielen deutlich mehr Geschäftsvorteile als nicht führende Unternehmen. Die Unternehmen profitieren von u.a. Kosteneinsparungen, verbesserten Beschaffungsmetriken, schaffen eine glaubwürdige Markendifferenzierung, erreichen bessere Positionierungen in der Talentrekrutierung und Mitarbeiterbindung und erhöhen ihr Innovationspotenzial.

 

Zentrale Schnittstelle

Nachhaltigkeit wird die traditionellen Faktoren Kosten, Qualität und Lieferzeit nicht ersetzen,  wenn jedoch Nachhaltigkeit als Schnittstelle der Beschaffungskriterien festgesetzt wird und in alle Bereiche, die die Geschäftstätigkeiten und -auswirkungen betreffen – einschließlich und insbesondere der Lieferkette – integriert wird, kann das Nachhaltigkeitsmanagementsystem einen maßgeblichen Beitrag zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, Klima- und Umweltschutz und damit Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Geschäftskontinuität zu leisten.

 


Dieser Artikel wurde ursprünglich im PROCURE SWISS MAGAZIN veröffentlicht.

Über PROCURE SWISS MAGAZIN: "Das Fach- und Verbandsmagazin des Schweizer Einkaufsverbandes procure.ch erscheint als gedruckte Zeitschrift, E-Paper und als Online-Magazin. Mit seinem klaren Fokus auf Beschaffung, Materialwirtschaft und Supply Management ist das Magazin die einzige Publikation dieser Art in der Schweiz. Es lässt Fachexperten zu Wort kommen, berichtet über Trends, liefert Zahlen und Fakten aus den Märkten und schildert umgesetzte Lösungen. Ergänzt durch Interviews mit Persönlichkeiten aus Einkauf und Bildung, fördert das Magazin die Fachkompetenz und beleuchtet die hohe Diversität des Beschaffungsalltags."

 

Über den Autor

Saskia Hornivius

Saskia Hornivius ist Expertin für nachhaltige Beschaffung mit einem Schwerpunkt in Arbeits- und Menschenrechten und betreut bei EcoVadis kleine- und mittelständische Unternehmen in der D-A-CH-Region. Bevor sie zu EcoVadis kam war sie langjährig im Stakeholder und Partnerships Management tätig, um eine konstruktive Zusammenarbeit in CSR-Projekten zu gewährleisten.

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