Der EU-Vorschlag zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit ist da - welche Auswirkungen hat er auf Unternehmen?

March 17, 2022 Hannah Roberts

Nach mehrfachen Verzögerungen wurde am 23. Februar 2022 der Vorschlag zu einer europäischen Richtlinie über die Nachhaltigkeits-Sorgfaltspflicht von Unternehmen veröffentlicht, der eine verpflichtende Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte und der Umwelt vorsieht. Der Gesetzesentwurf schlägt umfangreiche neue Sorgfaltspflichten für mehr als 13.000 europäische und 4.000 außereuropäische Unternehmen vor, die Produkte oder Dienstleistungen in der Europäischen Union (EU) anbieten, wobei Schwellenwerte für Beschäftigtenzahlen und Umsatz gelten. Die vorgeschlagenen Verpflichtungen erstrecken sich auf bestehende Geschäftsbeziehungen auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette und sehen vor, dass die Nichteinhaltung mit Geldbußen auf Ebene der Mitgliedstaaten geahndet werden kann. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie voraussichtlich bis 2025 in nationales Recht umsetzen, aber angesichts des Umfangs und der Strenge der Bestimmungen ist es bereits jetzt an der Zeit, Ihr Unternehmen auf eine neue Ära der Lieferkettenregulierung in der EU vorzubereiten.

 

Die Landschaft der Sorgfaltspflichten in Europa hat sich bereits verändert

Die Spannung auf den Kommissionsvorschlag war stetig gewachsen, nachdem mehrere geplante Veröffentlichungstermine verschoben wurden. Ursprünglich sollte die Richtlinie Anfang 2021 veröffentlicht werden, wurde dann aber im vergangenen Dezember auf unbestimmte Zeit verschoben, und die europäische Landschaft der Sorgfaltspflichten hat sich in der Zwischenzeit erheblich verändert. 
 
Nationale Sorgfaltspflichtgesetze wurden bereits vorher in Frankreich und inzwischen auch in Deutschland und Norwegen verabschiedet oder umgesetzt, und in einer Reihe von Ländern werden derzeit Vorschläge geprüft. Die Niederlande haben erst kürzlich ihre Ambitionen für ein nationales Sorgfaltspflichtgesetz als Reaktion auf die anhaltenden Verzögerungen seitens der EU angekündigt. 
 
Viele Unternehmen in Deutschland haben als Vorlauf zum Lieferkettengesetz, das ab dem 1.1.2023 gilt, bereits Schritte zur Einhaltung der neuen Vorschriften und der Umsetzung der Sorgfaltspflicht unternommen. Doch wie wirkt sich die neue vorgeschlagene europäische Richtlinie auf diesen Prozess aus? Und welche Auswirkungen könnte sie auf die Vorbereitungen haben? 
 

Verhandlungen über den Geltungsbereich im Mittelpunkt

Die neue EU-Richtlinie verlangt von den Unternehmen, dass sie die Umweltauswirkungen ihrer Lieferketten überwachen und eine Sorgfaltsprüfung durchführen, um Menschenrechtsverletzungen zu identifizieren, zu verhindern und zu mindern und darüber Rechenschaft abzulegen, wie es die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen vorsehen. Außerdem werden neue Pflichten für die Geschäftsführung eingeführt, die die Rechenschaftspflicht der Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen stärken werden. 
 
Die komplexen Verhandlungen, die in dem Richtlinienentwurf gipfelten, befassten sich mit mehreren strittigen Fragen, unter anderem zum Geltungsbereich und der Haftung. An erster Stelle stand die Frage, ob der Vorschlag die Sorgfaltspflicht für die gesamte Wertschöpfungskette oder nur für die erste Stufe (Tier-1) der Lieferkette abdecken sollte. Ebenso mussten die Regulierungsbehörden einen Konsens darüber erzielen, für welches Unternehmensprofil die vorgeschlagenen Bestimmungen gelten sollten, inwieweit die Pflichten der Unternehmensleitung und die Aufsichtspflicht berücksichtigt werden sollten und ob das Gesetz eine verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Haftung vorsehen sollte. 
 
Hinsichtlich der abgedeckten Bereiche der Sorgfaltspflicht wurde die Frage diskutiert, ob die Sorgfaltspflicht im Umweltbereich sich auch auf die Auswirkungen des Unternehmens auf das Klima erstrecken würde und ob es Klauseln für Waren und Produkte geben würde, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Während sich die Kommissionsbeamt*innen letztendlich dazu entschlossen, Bestimmungen über die Herstellung von Waren unter Einsatz von Zwangsarbeit auszuschließen, enthält der Entwurf des Vorschlags eine Verpflichtung für große und wirtschaftlich starke Unternehmen, ihre Geschäftsstrategie an dem Ziel des Pariser Abkommens auszurichten, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.
 

Der Geltungsbereich reicht über Europa hinaus

Die Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit sieht vor, ihre Bestimmungen allen europäischen Unternehmen aufzuerlegen, die eines der beiden folgenden Kriterien erfüllen:
 
Mehr als 500 Beschäftigte und 150 Millionen Euro Jahresumsatz; 
mehr als 250 Beschäftigte und 40 Millionen Euro Jahresumsatz, wobei mindestens die Hälfte davon aus einer Hochrisikobranche wie der Bekleidungsindustrie, der Agrar- und Ernährungswirtschaft, der Gewinnung von Bodenschätzen, Metallen, Baumaterialien, Brennstoffen oder Chemikalien stammen muss.
 
Darüber hinaus unterliegen Nicht-EU-Unternehmen dem vorgeschlagenen Gesetz, wenn sie je nach Branche einen Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro oder 40 Millionen Euro in der EU erzielen. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind von den direkten Sorgfaltspflichten ausgenommen, sind aber indirekt von dem Vorschlag betroffen. 
 
Die auferlegten Sorgfaltspflichten beziehen sich auf potenzielle und tatsächliche nachteilige Auswirkungen in der Wertschöpfungskette über direkte oder indirekte, bestehende Geschäftsbeziehungen. Vorgelagerte und nachgelagerte Geschäftsbeziehungen fallen in diesen Anwendungsbereich, auch ohne vertragliche Beziehung, wenn ein Geschäftspartner Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Produkten oder Dienstleistungen eines Unternehmens ausführt, die voraussichtlich länger andauern
 
Mit dem Vorschlag wird auch die Sorgfaltspflicht von Geschäftsführer*innen neu definiert, indem ihr Mandat dahingehend erweitert wird, dass sie die Folgen ihrer Entscheidungen für die Nachhaltigkeit, einschließlich der Menschenrechte, des Klimawandels und der Auswirkungen auf die Umwelt, berücksichtigen müssen. Bei Nichteinhaltung der Vorschriften erhalten die EU-Mitgliedstaaten Durchsetzungsbefugnisse zur Verhängung von Geldbußen, die sich nach dem Umsatz des Unternehmens richten. Obwohl die Mitgliedstaaten nach der Ratifizierung der Richtlinie voraussichtlich bis 2025 Zeit haben werden, diese in nationales Recht umzusetzen, ist der Umfang der vorgeschlagenen Bestimmungen so ausgedehnt, dass Unternehmen keine Zeit für die Vorbereitung verlieren dürfen. 
 

Erfüllung der Sorgfaltspflichtanforderungen 

Die Richtlinie legt den Schwerpunkt auf die Risikobewertung von Wertschöpfungsketten und verlangt von den Unternehmen, dass sie bei Bedarf Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen zu ermitteln, abzumildern und zu beheben. Um diese Schritte zu befolgen, müssen Unternehmen die Geschäftspartner in ihrer Lieferkette kennen und mit ihnen zusammenarbeiten, von denen Nachhaltigkeitsrisiken ausgehen, einschließlich indirekter Zulieferer in der vorgelagerten Lieferkette. Während die verschiedenen Komponenten der Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit für Unternehmen, die ihren Bestimmungen unterliegen, Risiken in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften mit sich bringen, eröffnet sie auch Chancen für Unternehmen, die mit den Praktiken ihres Lieferantennetzwerks im Bereich des Nachhaltigkeitsmanagements vertraut sind und somit gut positioniert sind, um eine Sorgfaltsprüfung in der Lieferkette durchzuführen. 
 
Die EcoVadis Sustainability Intelligence Suite bietet Unternehmen umsetzbare Werkzeuge, um die Sorgfaltspflicht in die Praxis umzusetzen und die Anforderungen des Vorschlags der Europäischen Kommission zu erfüllen: Mit EcoVadis IQ können Unternehmen eine aktive Risikoprüfung für ihre gesamte Lieferantenbasis durchführen, die potenzielle Risiken und Auswirkungen auf Umwelt, Ethik und Menschenrechte aufzeigt. Mit Hilfe des umfassenden Nachhaltigkeitsratings von EcoVadis können die risikobehafteten oder risikoidentifizierten Lieferanten detailliert untersuchen werden. Wenn tatsächliche oder potenzielle Auswirkungen festgestellt werden, nachdem die Lieferanten und Geschäftspartner das EcoVadis Rating abgeschlossen haben, ermöglicht die integrierte Funktion für Korrekturmaßnahmen es den Unternehmen, mit ihren Partnern zusammenzuarbeiten, um Risiken zu adressieren und die Leistung zu verbessern. 
 
Die klare Aussage der EU zur Bedeutung der Sorgfaltspflicht in Bezug auf Umwelt und Menschenrechte wurde lange erwartet, aber die Umsetzung in die Praxis kann für Unternehmen, die wirksame Instrumente zur Compliance und Leistungsverbesserung einsetzen, beschleunigt erfolgen. 
 

Über die Autorin:

Hannah Roberts ist CSR-Analystin bei EcoVadis und setzt sich für die Entwicklung gerechterer und nachhaltigerer Lieferketten auf der ganzen Welt ein. Bevor sie zu EcoVadis kam, arbeitete sie als politische Beraterin an Projekten in Europa, Südostasien und dem Nahen Osten. Sie hat einen Master-Abschluss in Umweltpolitik und -management von der Columbia University.

Über EcoVadis

EcoVadis ist der weltweit zuverlässigste Anbieter von Nachhaltigkeitsbewertungen für Unternehmen. Globale Lieferketten, Finanzinstitute und öffentliche Organisationen arbeiten mit EcoVadis, um die Nachhaltigkeitsleistung ihrer Geschäfts- und Handelspartner zu überwachen und zu verbessern. Die evidenzbasierten Bewertungen von EcoVadis, die auf einer leistungsstarken Technologieplattform basieren, werden von einem globalen Expert*innenteam validiert und sind an mehr als 200 Branchenkategorien, 160 Länder und Unternehmen jeder Größe angepasst. Die umsetzbaren Scorecards bieten Benchmarks, Einblicke und eine Anleitung zur Verbesserung von ökologischen, sozialen und ethischen Praktiken. Branchenführer wie Amazon, Johnson & Johnson, L'Oréal, Unilever, LVMH, Salesforce, Bridgestone, BASF und die ING Group gehören zu den 90.000 Unternehmen, die mit EcoVadis zusammenarbeiten, um die Widerstandsfähigkeit, das nachhaltige Wachstum und den positiven Impact weltweit zu fördern. Erfahren Sie mehr auf ecovadis.com, Twitter oder LinkedIn.

Über den Autor

Hannah Roberts

Hannah Roberts is a Sustainability Ratings Team Leader at EcoVadis dedicated to creating more equitable and sustainable supply chains globally. Prior to joining EcoVadis, she worked as a policy consultant on projects in Europe, Southeast Asia, and the Middle East. She holds a master's degree in Environmental Policy and Management from Columbia University.

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