Führungskräfte in Unternehmen sind sich zunehmend der Leistungsvorteile bewusst, die sich aus der Einführung nachhaltiger Praktiken ergeben. Die Daten des aktuellen Business Sustainability Risk & Performance Index machen jedoch deutlich, dass es nicht ausreicht, sich auf die Nachhaltigkeit der internen Abläufe zu konzentrieren. Nachteilige soziale und ökologische Auswirkungen sind überwiegend in der vorgelagerten Wertschöpfungskette verankert, und da die Europäische Union (EU) die Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichtvorschriften vorbereitet, müssen Führungskräfte handeln, um Nachhaltigkeit in die Beschaffungsfunktion auf jeder Ebene der Lieferkette zu integrieren.
Der EcoVadis Index untersucht die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen, die von EcoVadis bewertet wurden. Er umfasst eine Gesamtbewertung sowie Bewertungen, die aus Untersuchungen in vier "Unterthemen" abgeleitet sind: 1) Umwelt, 2) Arbeits- und Menschenrechte 3) Ethik und 4) Nachhaltige Beschaffung. Weitere Informationen über die EcoVadis Bewertungsmethodik und die Vorgehensweise bei der Bewertung finden Sie in unserem umfassenden Guide.
Europa: Weltweit führend in Sachen Nachhaltigkeit
Mit einer durchschnittlichen Gesamtbewertung von 52,1 im Jahr 2020 haben die europäischen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistung im Vergleich zu 2019 (51,0) um mehr als einen Punkt verbessert und einen Vorsprung von mehr als 5 Punkten gegenüber der nächstbesten Region, Nordamerika (46,5), beibehalten. Dieses Ergebnis stimmt mit den Ergebnissen anderer führender Nachhaltigkeits-Rankings überein, die festgestellt haben, dass fast die Hälfte der weltweit nachhaltigsten börsennotierten Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 1 Milliarde US-Dollar in Europa ansässig ist.
Dennoch ist es wichtig, dass europäische Unternehmen sich nicht auf dieser Position ausruhen. Denn wenn man sich die Daten genauer ansieht, die der durchschnittlichen Gesamtbewertung zugrunde liegen, insbesondere die Daten zum Thema nachhaltige Beschaffung, wird deutlich, dass in den Lieferketten vieler europäischer Unternehmen weiterhin erhebliche Nachhaltigkeitsrisiken lauern.
Die Bedeutung der Lieferkette für das Nachhaltigkeitsmanagement
Als das herausforderndste der vier Nachhaltigkeitsthemen der EcoVadis Rating Methodik ist die nachhaltige Beschaffung von grundlegender Bedeutung für die Skalierung nachhaltiger Leistung, den Aufbau unternehmerischer Widerstandsfähigkeit und die wirksame Risikominderung.
Viele Unternehmen arbeiten zwar effektiv mit ihren direkten Lieferanten zusammen, um Nachhaltigkeitsaspekte in die Beschaffungsfunktion auf den oberen Stufen der Wertschöpfungskette zu integrieren, doch der Schlüssel zur Ausweitung der Wirkung eines nachhaltigen Beschaffungsprogramms liegt darin, ausreichende Unterstützung und Anreize zu bieten, um solche Maßnahmen über die Stufe 1 hinaus zu kaskadieren und so sicherzustellen, dass soziale und ökologische Sorgfaltspraktiken in den Beschaffungsprozessen der gesamten vorgelagerten Wertschöpfungskette umgesetzt werden. Denn unabhängig davon, wie viele Stufen ein Endprodukt oder eine Dienstleistung von einem vorgelagerten Lieferanten trennen, der nachweislich zu negativen sozialen oder ökologischen Auswirkungen beiträgt, zeigen Untersuchungen, dass das beschaffende Unternehmen immer einem erheblichen Rechts- und Reputationsrisiko ausgesetzt ist.
Dies gilt insbesondere für Unternehmen mit Sitz in Europa, da immer mehr Regierungen sowie die EU Maßnahmen ergreifen, um die Anforderungen an die ESG-Berichterstattung zu erhöhen und die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette vorzuschreiben. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das im Juni 2021 verabschiedet wurde, schreibt beispielsweise Unternehmen vor, die dessen Regelungen unterliegen, auf allen Ebenen der Lieferkette eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen. Auch in dem EU-Richtlinienvorschlag zur Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte heißt es ausdrücklich, dass "die Sorgfaltspflicht der Unternehmen nicht nur für Vertragspartner der ersten Ebene gilt, sondern sich auch auf den potenziellen Einfluss eines Unternehmens auf weitere Ebenen der Lieferkette ('Tier-n'-Lieferanten) erstreckt".
Nachhaltige Beschaffung ist angesichts strengerer EU-Vorschriften eine große Herausforderung
In Anbetracht der sich entwickelnden regulatorischen Landschaft ist es besorgniserregend, dass der globale Durchschnittswert für nachhaltige Beschaffung im Jahr 2020 zum fünften Mal in Folge auf 37,6 gesunken ist. Zwar sind die europäischen Unternehmen nach wie vor weltweit führend bei der nachhaltigen Beschaffung (42,0) und haben in den letzten fünf Jahren ein konstantes Leistungsniveau bei diesem Thema erreicht, doch zeigen die Daten ein hohes Maß an Abweichungen bei der Bewertung innerhalb des Kontinents, und die meisten Unternehmen sind nicht darauf vorbereitet, die kommenden regulatorischen Anforderungen auf nationaler und EU-Ebene zu erfüllen.
Tatsächlich haben über 65 % der von EcoVadis im Jahr 2020 bewerteten Unternehmen noch keine nachhaltige Beschaffungspolitik, und es ist auffallend, dass sowohl europäische als auch EU-Unternehmen im Durchschnitt den Schwellenwert von 45 Punkten nicht erreichen, der erforderlich ist, um eine "gute" EcoVadis-Leistungsbewertung im Bereich der nachhaltigen Beschaffung zu erhalten. Sie werden daher als "mittleres Risiko" in Bezug auf das Lieferkettenmanagement eingestuft.
Die Leistung der Unternehmen mit Sitz in den vier größten Volkswirtschaften der EU (Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien) ist im Bereich der nachhaltigen Beschaffung gleich geblieben und hat sich in einigen Fällen sogar verbessert, während Unternehmen in den nördlichsten Mitgliedstaaten der EU - konkret in Schweden, Finnland und Dänemark - ihr bemerkenswert hohes und konsistentes Bewertungsniveau in diesem Bereich beibehalten haben. Vor dem Hintergrund der anhaltenden regulatorischen und politischen Auswirkungen des Brexit ist auch die Tatsache bemerkenswert, dass die Punktzahl der britischen Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Beschaffung in jedem der letzten drei Jahre gesunken ist, was in einem starken Kontrast zur relativen Stabilität der Leistung der EU als Ganzes steht.
Dennoch bleibt die nachhaltige Beschaffung in Europa wie auch in anderen Regionen hinter allen anderen Nachhaltigkeitsthemen zurück. Selbst innerhalb der EU sind erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die nachhaltige Beschaffung zu beobachten. Dies gilt insbesondere für Unternehmen in einigen südlicheren Volkswirtschaften wie Portugal, Zypern und Malta, die alle im Jahr 2020 einen Durchschnittswert von unter 40,0 erreichten.
Auch in vielen mittel- und osteuropäischen Staaten, die der EU 2004 und später beigetreten sind, gibt es ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Während Unternehmen in Polen beispielsweise im vergangenen Jahr eine leichte Verbesserung ihrer Leistung im Bereich der nachhaltigen Beschaffung erzielten, sind sie noch weit davon entfernt, mit den nördlicheren Spitzenreitern der Union in diesem Bereich gleichzuziehen. Ähnliches gilt für Unternehmen in Nachbarstaaten wie Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei.
Die Daten machen deutlich, dass es für einige europäische Staaten eine größere Herausforderung sein wird, sich auf die strengeren Vorschriften einzustellen, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Unternehmen frühzeitig damit beginnen, ihre Managementsysteme auf die neuen gesetzlichen Anforderungen vorzubereiten.
Schlussfolgerung
Bei der Frage, wie Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistung steigern können, kann die Rolle der Beschaffungsfunktion gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wie jüngste Untersuchungen von McKinsey zeigen, sind 80-90 % der Treibhausgasemissionen eines durchschnittlichen Unternehmens "Scope 3": indirekte Emissionen, die in der gesamten Wertschöpfungskette des Unternehmens anfallen, wie z. B. eingebettete Emissionen in gekauften Waren und Dienstleistungen, Reisen und Pendeln der Mitarbeitenden sowie die Nutzung und End-of-Life-Behandlung der verkauften Produkte. Und von diesen Emissionen lassen sich in der Regel zwei Drittel auf Tier-n-Lieferanten in der vorgelagerten Wertschöpfungskette zurückführen.
Angesichts der zunehmenden Gesetzgebung auf nationaler und EU-Ebene, die die europäischen Unternehmen dazu verpflichtet, über negative soziale und ökologische Auswirkungen in ihren Lieferketten Rechenschaft abzulegen und diese zu beseitigen, ist es wichtig, dass führende Unternehmen die Zeit und die Ressourcen investieren, die für den Aufbau der erforderlichen Bewertungs- und Berichterstattungskapazität erforderlich sind. In der Praxis bedeutet dies, Schwachstellen zu identifizieren, Risiken im Voraus zu bestimmen und eng mit Lieferanten zusammenzuarbeiten, um Prozesse zur Identifizierung von Verfahrensverstößen und zur Behebung negativer Auswirkungen zu formalisieren.
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