„Wir können die Umweltproblematik nur bewältigen, wenn
wir gesellschaftsökonomische und menschenrechtliche
Aspekte in den Lieferketten beachten.“
Christoph Schwärzler ist Senior Referent Nachhaltige Beschaffung bei der Deutschen Bahn und leidenschaftlicher Nachhaltigkeitsexperte. Als diplomierter Maschinenbauingenieur und Betriebswirt legte er schon früh seinen Fokus auf Themen wie CO2-Reduzierung, Energie- und Ressourcenmanagement und baute seine Nachhaltigkeitsexpertise über umweltbezogene Themen hinaus auf menschenrechtliche und soziale Aspekte der Beschaffung aus. Im Interview mit Kleine Kniffe - Das kommunale Magazin für einen nachhaltigen Einkauf sprach er über Transformation, nachhaltige Beschaffung und zukunftsgerichtetes Lieferantenmanagement.
Herr Schwärzler, Sie sind seit 2017 bei der Deutschen Bahn in Ihrer Funktion als Senior Referent Nachhaltige Beschaffung. Wie sieht Ihr Aufgabenfeld aus?
Es ist eine sehr vielfältige und spannende Aufgabe. Die nachhaltige Beschaffung des Konzerneinkaufs der Deutschen Bahn ist direkt im Vorstandsressort Finanzen angesiedelt. Wir sind eine Stabsstelle in der Grundsatzabteilung, die Rahmenbedingungen und Prozesse entwickelt, aber auch die Einkaufsabteilungen operativ unterstützt. Dazu gehören Informationen und Schulungen, genauso wie eine konkrete inhaltliche Beratung bei Vergabeprojekten. Wir stehen im internen Beschaffungsnetzwerk im engen Austausch mit Bedarfsträgern und anderen Fachabteilungen, z.B. mit der Abteilung Nachhaltigkeit / Umwelt, Compliance und auch Personal. Extern sind wir branchenweit über die internationale Brancheninitiative “Railsponsible”, aber auch auf nationaler Ebene beim BME und econsense vernetzt. Des Weiteren gibt es Dialoge mit der UIC, dem internationalen Eisenbahnverband und auch mit anderen Initiativen, wie ResponsibleSteel. Die Deutsche Bahn nimmt durch die Konzerngröße, das Einkaufsvolumen und ihre Stellung in der
öffentlichen Beschaffung eine besondere Rolle in der Gesellschaft ein. Daher ist es uns ein Anliegen, an Strategiedialogen beteiligt zu sein. Beispielsweise sind wir aktuell in die fachlichen Konsultationen zum Sorgfaltspflichtengesetz für Menschenrechte in Lieferketten in Deutschland eingebunden.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für die Deutsche Bahn?
Nachhaltigkeit ist im gesamten Konzern integriert. Die Ausbaustrategie ‘Starke Schiene’ des Konzerns hat vier nachhaltige Zielrichtungen: für das Klima, für die Menschen, für die Wirtschaft,
und für Europa. Wir sind Teil der Mobilitätswende in Deutschland, aber natürlich auch über Deutschland hinaus. Mit DB Cargo, DB Arriva und DB Schenker können wir weltweit viel bewegen, aber hinterlassen auch einen ökologischen Fußabdruck. Deshalb ist Klimaneutralität im strategischen Programm festgelegt, das sich am Kohleausstieg 2038 orientiert. Wir fahren heute schon zu 100 Prozent mit Grünstrom im Fernverkehr und sind als klimafreundliches Verkehrsunternehmen ausgezeichnet worden. Aber es gibt weitere Herausforderungen, an denen wir Hand in Hand innerhalb des Konzerns arbeiten: die soziale Nachhaltigkeit, eine verantwortungsvolle Beschaffung, Innovationen und neue Technologien.
Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Lieferketten werden aktuell viel diskutiert, wie sehen Sie dies im Kontext eines umfassenden Nachhaltigkeitsansatzes?
Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Nachhaltigkeitsstrategie liegt in der Balance der drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Insbesondere spielt die Beachtung von Menschenrechten in den Lieferketten und die Einhaltung der dafür relevanten Standards
eine tragende Rolle für eine nachhaltige Beschaffung.
„Wir können die Umweltproblematik nur bewältigen, wenn wir gesellschaftsökonomische und menschenrechtliche Aspekte in den Lieferketten beachten.“
Welche Herausforderungen sehen Sie in der öffentlichen Beschaffung bezüglich Nachhaltigkeit?
Als eines der klimafreundlichsten Transportunternehmen ist die DB AG Umweltvorreiter und will es auch bleiben. Gleichzeitig aber legen wir ein besonderes Augenmerk auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in den Lieferketten. Das ist neben den Umweltthemen eine wesentliche Säule in der nachhaltigen Beschaffung. Durch die Komplexität der Lieferketten brauchen wir hier eine partnerschaftliche Zusammenarbeit und intensive Dialoge mit unseren Lieferanten und Branchenverbänden.
Auf den ersten Blick ist öffentliche Beschaffung stark reglementiert und mit hohem Aufwand verbunden, um Rechtskonformität zu gewährleisten. Aber das ist nur der erste Blick. Der zweite Blick zeigt ganz deutlich, dass das Vergaberecht eine tolle Grundlage ist, um nachhaltig zu beschaffen. Das heißt, wir können Aspekte, wie die Wahrung von Menschenrechten in den Lieferketten oder den Einsatz von erneuerbaren Energien in Produktionsprozessen für eine
Beschaffungsentscheidung rechtssicher nutzen. Von regulatorischer Seite sind viele Möglichkeiten gegeben, ob als Bewertungskriterium, Eignungsbedingung, Leistungsbeschreibung oder auch einer
Vertragsdurchführungsbedingung. Die Herausforderung dabei ist, dass wir lernen müssen, Nachhaltigkeit rechtssicher umzusetzen, um Vertrauen unserer Einkäufer*innen und Bedarfsträger zu gewinnen. Da Nachhaltigkeitsaspekte in Vergaben noch nicht flächendeckend etabliert sind und nicht so viele Erfahrungswerte vorliegen, unterstützen wir als Nachhaltigkeitsexperten bei Verständnisfragen, fangen Bedenken ab und geben praktische Umsetzungstipps.
Wie gelingt Zusammenarbeit zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung in den Lieferketten?
Nachhaltigkeit braucht gemeinsames Engagement. Allein können wir den Karren nicht ziehen, sondern sind auf zuverlässige und innovative Lieferanten angewiesen. In partnerschaftlicher
Zusammenarbeit ringen wir um den besten Weg. Wenn wir bereit sind, einander zuzuhören, entstehen neue Lösungen beispielsweise mit alternativen Baustoffen, welche einen niedrigeren
CO2-Fußabdruck haben als herkömmliche. Um diesen Ansatz zu systematisieren, hat die Deutsche Bahn die nachhaltige Lieferketten-Initiative Railsponsible mitgegründet. Seit 2015 entwickeln die
Mitgliedsunternehmen der Schienenverkehrsbranche Standards, Werkzeuge und schaffen Transparenz. In den letzten fünf Jahren haben wir hier große Fortschritte erzielt. Über 60 Prozent unseres Einkaufsvolumen verfügt nun über eine Nachhaltigkeitsbewertung. So kennen wir auch die Hotspots oder Risikofelder und können diese gezielt adressieren. Das war vorher nicht möglich, weil einfach die Transparenz nicht vorhanden war. Besonders erfreulich ist, dass nicht nur wir uns diesbezüglich entwickeln, sondern dass sich auch insbesondere unsere Lieferanten und strategischen Geschäftspartner weiter in Richtung mehr Nachhaltigkeit entwickeln.
Wie nutzen Sie EcoVadis in der Zusammenarbeit mit Lieferanten?
In der Präqualifikation vieler Warengruppen geben wir unseren Lieferanten unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, ihre EcoVadis-Bewertung vorzulegen. Das verkürzt das
Verfahren und spart Kosten. Zum anderen nutzen wir EcoVadis im Lieferantenmanagement zur kontinuierlichen Entwicklung der geschäftspartnerschaftlichen Beziehung. Der EcoVadis Score ergänzt andere Qualitätsindikatoren wie Liefertreue oder Produktqualität. Angefangen haben wir 2013 mit ein paar Dutzend Bewertungen von Lieferanten. Inzwischen sind wir bei über 700 Bewertungen. Das entspricht etlichen Milliarden Euro an Einkaufsvolumen.
Welche Rolle spielt Railsponsible für die nachhaltige Beschaffung?
Die Lieferketteninitiative Railsponsible ist inzwischen aus verschiedenen Gründen für die Nachhaltigkeit in der Schienenverkehrsbranche nicht mehr wegzudenken. In dem globalen Netzwerk entlang der Lieferkette – also vertikal – sind wichtige Unternehmen zusammengeschlossen, die kartellrechtskonform beispielsweise eine übergreifende Anerkennung von Audits entwickeln. Ein weiterer Gewinn des Netzwerkes ist die Verbreitung bewährter Praktiken. Der Dialog mit den Beteiligten garantiert, dass keine unsinnigen Lösungen entstehen oder Programme entwickelt werden, die an der Realität vorbeigehen. Insofern hat Railsponsible den großen Mehrwert für die Praxis. Wir ermutigen weitere Unternehmen, sich Railsponsible anzuschließen, um Nachhaltigkeitsstandards flächendeckend zu etablieren.
Woran erkennen Sie, dass Nachhaltigkeit echten unternehmerischen Mehrwert erzeugt?
Wenn alle Managementsysteme und strategischen Prozesse so gestaltet sind, dass eine leistungsfähige Versorgung auch einer Krise, wie der Coronapandemie, die Stirn bieten kann, dann geht der Nachhaltigkeitsansatz auf. Wir hatten bisher tatsächlich nur punktuell Versorgungsunterbrechungen mit Ersatzteilen für unseren Fuhrpark und konnten fast alle Infrastrukturmaßnahmen ohne Beeinträchtigung weiterführen. Das funktionierte deshalb so gut,
weil Fahrzeuginstandhaltung, Betriebsplanung, Baustellenplanung, Reichweitenplanung der Materialversorgung und der enge Kontakt zu den Lieferanten optimal ineinandergriffen.
“Wir müssen einerseits eine Krise managen und andererseits die
Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln, damit wir zukunftsfähig
bleiben und gestärkt aus dieser Krise herauskommen.”
Sehen Sie die Krise als Treiber oder Bremse für Nachhaltigkeit?
Im Angesicht der Pandemie kam die Frage auf, ob wir überhaupt noch Nachhaltigkeit brauchen, wenn es um das nackte wirtschaftliche Überleben geht. Meine Überzeugung ist es, dass Nachhaltigkeit die Perspektive für die Zeit nach Corona ist und eine treibende Kraft für das akute Krisenmanagement. Ein “weiter so wie immer” wird es in vielen Bereichen nach Corona nicht mehr geben. Wir sind deshalb gut beraten, uns schon jetzt - noch mitten in der Krise - auf die
Zukunft mit nachhaltigeren Geschäftsmodellen vorzubereiten.
Grundvoraussetzung für nachhaltige Beschaffung ist die Sensibilisierung des Einkaufs für das Thema - wie setzen Sie das um?
Eine wesentliche Säule sind Schulungen. Wichtig ist, dass Schulungsmaßnahmen mit den Beschaffungsprogrammen der Organisation gut abgestimmt sind. Die Inhalte müssen zu den Zielhorizonten des Unternehmens anschlussfähig sein, damit es am Ende nicht zur Frustration führt, weil Rahmenbedingungen, Prozesse und Zielsysteme nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Gleiches gilt auch für die Lieferantenseite. Über Railsponsible laufen bei Mitgliedern individuell Lieferantentrainings, eLearnings und auch vor-Ort-Trainings. Ein anderes wichtiges Format, um Wissen zum Thema Nachhaltigkeit zu vermitteln, sind die Lieferantentage.
Das sind in der Regel halbjährlich oder jährlich stattfindende Treffen in Bezug auf eine oder mehrere ähnliche Warengruppen. Diese Fachveranstaltungen drehen sich zunehmend um Nachhaltigkeit, neue Rahmenbedingungen und den Austausch von Best Practice Beispielen.
Sie selbst engagieren sich stark in dem Thema Wissensvermittlung und haben auch Module zum E-Learning-Programm für nachhaltige Beschaffung des JARO Instituts beigetragen, bei dem Sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats sind.
Ja, der JARO Online-Lehrgang zum Nachhaltigkeitseinkäufer*in ist aus meiner Sicht ein vielversprechendes und hochqualitatives Weiterbildungsangebot. Ich glaube es ist gelungen, einen didaktisch exzellenten Lehrgang zu gestalten. Der Lehrgang ist modular aufgebaut, sodass man differenziert Schwerpunkte setzen kann, die auf die Rolle der Teilnehmenden zugeschnitten sind.
Die Deutsche Bahn ist seit vielen Jahren Vorreiter in der nachhaltigen Beschaffung. Welchen Rat würden Sie einem Unternehmen geben, das gerade mit nachhaltiger Beschaffung beginnt?
Ich verweise da gerne auf die Ansätze in Leitfäden, die sich an Managementsystem Standards anlehnen. Als Unternehmen muss man sich zunächst einmal im Klaren werden, welche Wirkung der Geschäftsauftrag in den Bereichen Umwelt und Soziales ausübt und welche Chancen Nachhaltigkeit für das Unternehmen bietet. Es geht die Wirkungen der Produkte und Prozesse im gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung bis zur Wiederverwendung. Relativ einfach wird man dann Maßnahmen ableiten können, mit denen man aufwandsarm erste Verbesserungen erreicht. Ich rate davon ab, zu große Elefanten in den Raum zu stellen. Man sollte nicht versuchen, von Anfang an alles perfekt zu machen. Nachhaltigkeit ist ein schrittweises Vorgehen.
Insofern ist meine Botschaft: Niederschwellig an das Thema herangehen, einen Stufenplan aufbauen, Nachhaltigkeit in Regelprozesse überführen und Erfolge regelmäßig feiern.
Vielen Dank an Herrn Schwärzler für das Interview!
Das Interview wurde ursprünglich in Kleine Kniffe - Das kommunale Magazin für einen nachhaltigen Einkauf , Ausgabe 1/2021 veröffentlicht.
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