Im vergangenen Jahr hat die Covid19-Pandemie Unternehmen und Lieferketten bis an ihre Grenzen getestet und Schwachstellen, die teilweise bekannt waren, jedoch nicht relevant erschienen oder nie priorisiert wurden, zu Katalysatoren für Unterbrechungen und Zusammenbrüche internationaler Lieferketten gemacht. Der Start in das neue Jahr erfordert einen Rückblick auf die Ereignisse, Prozesse und Entscheidungen in 2020, und gleichzeitig einen Ausblick darauf, welche neuen und alten Prioritäten in 2021 für Unternehmen und Lieferketten unerlässlich sein werden.
Supply Chain Finance
Laut einer aktuellen Studie von Traxpay und DerTreasurer gaben 78% der befragten Unternehmen an, dass sie aufgrund der Corona-Pandemie mit Liquiditätsengpässen kämpfen. Die Bedeutung von Working Capital Management und Liquiditätsmanagement hat durch die Coronakrise immens an Bedeutung gewonnen. Insgesamt hat laut Studie ein Viertel der Befragten in der Corona-Pandemie als Reaktion auf potenzielle Liquiditätsengpässe die Zahlungsziele bei Lieferanten verlängert, während gleichzeitig insgesamt ein Drittel Anfragen ihrer Lieferanten mit der Bitte um vorzeitige Bezahlung von Rechnungen erhielt. Diese Ergebnisse zeigen deutlich das Dilemma der eigenen Liquiditätssicherung und der gleichzeitig notwendigen finanziellen Stabilisierung von Lieferanten, um einen Ausfall oder gar die Insolvenz von Lieferanten und dadurch noch größere mögliche Konsequenzen zu vermeiden. Unilever hat beispielsweise Anfang April seinen Lieferanten insgesamt bis zu 500 Millionen Euro an Cashflow-Entlastung, sowie vorzeitige Zahlungsmöglichkeiten und erweiterte Kredite angeboten, um zum einen insbesondere KMU zu unterstützen und zum anderen die eigenen Lieferketten und Vertriebsketten zu sichern. Die andauernden Einschränkungen und Lockdowns weltweit werden verstärkt erst in 2021 ihre Auswirkungen zeigen. So gibt die Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel an, dass 300.000 Unternehmen in Deutschland derzeit finanzielle Schwierigkeiten haben, und rechnet für 2020 mit rund 18.000 Firmeninsolvenzen. Gleichzeitig hat die Krise die Erkenntnis gebracht, dass sich nachhaltig aufgestellte und agierende Unternehmen und Lieferketten oftmals als resilienter und robuster erwiesen haben.
Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung
Die Pandemie hat dazu geführt, dass unsere Gesellschaft überdenkt, was wir tun und wie wir es tun, mit einem deutlichen Fokus auf Resilienz. Resilienz bedeutet viel mehr als nur "Pandemiebereitschaft". Nachhaltigkeit ist auf der gesellschaftlichen Agenda in 2020 zu einem Fokusthema und zu einem Kernthema für Unternehmen geworden. Stakeholder auf allen Seiten fordern von Unternehmen mehr Verantwortung in Bezug auf ihre sozialen und ökologischen Maßnahmen und die Auswirkungen ihrer Produkte und Geschäftsaktivitäten. In 2020 haben sich die unternehmerischen Commitments zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität in ihrer Anzahl aber auch in ihrem Umfang massiv erhöht. Auf die Ankündigungen folgen Handlungen, so hat bspw. Mercedes kürzlich im Rahmen der Ambition 2039 Klimaneutralität in den Vertragsbedingungen verankert und den sogenannten Ambition Letter zu einem wesentlichen Kriterium für Auftragsvergaben an Lieferanten gemacht. Mit einem Rekordanstieg in 2020 berichten mittlerweile mehr als 10.000 Unternehmen ihre Daten an CDP (Carbon Disclosure Projekt), mit dem über 500 Großinvestoren verbunden sind. Die Corona-Pandemie hat nicht nur zu einem gesteigerten Bewusstsein geführt, sondern auch zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen. So hat Deutschland 2020 mit einer Reduzierung von 42,3 Prozent im Vergleich zu 1990 sein Reduktionsziel von 40 Prozent leicht übertroffen – aufgrund der Pandemie. Berechnungen zufolge hätte der eigentliche Wert bei 37,8 Prozent gelegen. Jedoch warnen Experten bereits vor einem Rebound in 2021 und fordern branchenübergreifend eine schnelle Umsetzung von Reduktions- und Kompensationsmaßnahmen von Unternehmen. Der Gouverneur der Bank of England warnte kurz vor Jahresende, dass „Unternehmen und Industrien, die sich nicht in Richtung Null-Kohlenstoff-Emissionen bewegen, von “Investoren abgestraft und bankrott gehen werden“.
Erfahren Sie mehr über das neue Carbon Action Modul von EcoVadis.
Cybersecurity
Die plötzlichen Änderungen in den Arbeitspraktiken und Remote-Arbeit haben eine Umgebung geschaffen, die Cyber-Angreifer nur zu gerne ausnutzen. Für Unternehmen ist es daher ein existenzieller Bestandteil des Risikomanagements, nicht nur die eigenen Cybersecuritymaßnahmen kontinuierlich zu überwachen und zu verbessern, sondern auch die Informationssicherheits-Managementsysteme ihrer Lieferanten und Anbieter auf Schwachstellen zu überprüfen. Der jüngste SolarWinds-Hack - bei dem Angreifer über eine Serversoftware des Unternehmens in die Systeme mehrerer Unternehmen und Behörden eindrangen - ist ein weiteres Beispiel für die Schwachstellen der Cybersecurity und zeigt deutlich, wie wichtig die Cybersecurity Leistung von Lieferanten und Geschäftspartner für das eigene Unternehmen ist. Das BKA nannte Ransomware im September 2020 die "größte Bedrohung" für Unternehmen. Eine aktuelle Studie von CyberVadis, die auf den Bewertungen der Informationssicherheits-Managementsysteme von 680 Unternehmen in 56 Ländern basiert ergab unter anderem, dass nur 15% der bewerteten Unternehmen Sicherheitsüberprüfungen für BYOD durchführen und nur 28% der Unternehmen einen Authorization Process haben, um persönlichen Geräten den Zugriff auf Informationssysteme zu gewähren. Laut einer aktuellen Gartner CFO Umfrage, beabsichtigen 74% der befragten Unternehmen einige Mitarbeiter nach COVID-19 dauerhaft auf Remote-Arbeit umzustellen. Damit wird die Steigerung der Cybersecurity-Reife und -Performance im eigenen Unternehmen und bei Drittanbietern zum wichtigen Faktor für Risikomanagement und Resilienz.
Jetzt die CyberVadis Studie "Cybersecurity: Sind Unternehmen bereit für die neue Normalität" lesen.
"Preparedness" - Gesundheits- und Umweltkrisen
Die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wurden durch die Pandemie zu einem weiteren Fokusthema. Der Business Sustainability and Performance Index 2020 hat gezeigt, dass der Bereitschaftsgrad für Gesundheitskrisen in den Nachhaltigkeitsmanagementsystemen über alle Branchen hinweg insgesamt besorgniserregend niedrig ist. Mehr als ein Viertel der Zulieferer hat keine Maßnahmen für Gesundheitskrisen über Indikatoren und Branchen hinweg. Solche Defizite in den Nachhaltigkeitsmanagementsystemen haben in Schwellenländern bereits zu Streiks geführt, da Fabrikarbeiter ihr Recht auf Gesundheit beeinträchtigt sehen. Die Daten der Zulieferindustrie zur gesundheitlichen Krisenvorsorge deuten somit auf drohende menschenrechtliche Missstände hin und spiegeln die Störung der globalen Lieferketten wider, die sich im Zuge von COVID-19 vor Ort ereignet. Es geht jedoch nicht nur um die Gesundheits- und Sicherheitsfragen, die durch die globale Pandemie aufgedeckt wurden: Die Klimakrise und die damit verbundenen Auswirkungen werden weitaus größer sein. So haben australischen Buschbrände die Wirtschaft 100 Milliarden Dollar kosteten, sowie die kalifornischen, die die US-Wirtschaft 10 Milliarden Dollar kosteten. Laut aktuellem Naturkatastrophenbericht von Munich Re verursachten Naturkatastrophen im vergangenen Jahr insgesamt Schäden in Höhe von 210 Milliarden Dollar. - Ganz zu schweigen von damit verbundenen Verlusten der Biodiversität, zerstörten Ökosystemen und humanitären Krisen und menschlichen Opfern, die finanziell nicht zu beziffern und nicht ersetzbar sind.
Zunehmende Regularien
Die Finanzmärkte und Investoren treiben Themen wie Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung weltweit bereits enorm voran und fordern nachgewiesene Performance von Unternehmen. Bezeichnend ist hierfür auch die EU-Taxonomie als Bestandteil des „Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen“, die auf alle ab dem 1. Januar 2022 veröffentlichten Berichten angewendet werden soll. Doch auch von Seiten der Gesetzgebung steigt der Druck auf Unternehmen: 2020 stand die öffentliche und politische Debatte um das sogenannte Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen stark im Fokus, mit dem die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten gefördert und die Einhaltung von Menschenrechten so gut wie möglich sichergestellt werden soll. Im Januar diesen Jahres werden weitere Entscheidungen der Bundesregierung hierzu erwartet. Auch die Europäische Kommission hat sich verpflichtet, im Jahr 2021 eine Gesetzgebung einzuführen, die die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für alle Unternehmen in der EU verpflichtend macht. Grundlage dafür ist eine Studie, der zufolge „nur jedes dritte Unternehmen in der EU seine globalen Lieferketten sorgfältig mit Blick auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen prüft“. Gleichzeitig haben die europäischen Mitgliedstaaten ein Ziel für die Europäische Union befürwortet haben, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Weiterführend gilt seit Januar 2021 in Deutschland die CO2-Bepreisung, die Unternehmen, die Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel in den Markt bringen, verpflichtet einen CO2-Preis zu bezahlen. Ab Januar 2021 ist der Preis zunächst auf 25 Euro pro Tonne festgelegt und steigt schrittweise auf bis zu 55 Euro im Jahr 2025 an. Für das Jahr 2026 soll ein Preisrahmen von mindestens 55 und höchstens 65 Euro gelten. In Frankreich haben die Behörden und Aufsichtsbehörden anlässlich des fünfjährigen Jubiläums des Pariser Abkommens die Übernahme der Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) durch große, im CAC40 notierte Unternehmen unterstützt.
Im Jahr 2021 werden immer mehr Unternehmen feststellen, dass die bekannten Ansätze, wie z. B. die Diversifizierung von Zulieferern und Nearshoring, nicht den Kern des Problems angehen. Echte Resilienz erfordert, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsmanagement-Programme mit dem Fokus auf Lieferantenbeziehungen, kontinuierliche Verbesserung, langfristige Leistung und positive Auswirkungen umgestalten. Gleichzeitig wird es erforderlich Commitment in Action umzusetzen, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu priorisieren und effektive Strategien und Maßnahmen zur CO2-Reduktion aufzusetzen, die einen entsprechenden Beitrag zum Klimaziel von einer maximalen Temperaturerwärmung von 1,5°C leisten.
Es kann kein „business as usual“ mehr geben. Der Beginn des neues Jahres ist der symbolische Wechsel, um unser Denken und Handeln neu und zirkulär auszurichten, in Nachhaltigkeit zu investieren und Resilienz zu stärken, und Geschäftsaktivitäten und Lieferketten auf positiven Impact ausgerichtet aufzubauen.
Über den Autor
Bei LinkedIn folgen Mehr Inhalte von {{noun}}