2025 ist ein Jahr der ESG‑Divergenz: In Europa herrscht regulatorische Konsolidierung und vorsichtige Tendenzen – in den USA hingegen integrieren Unternehmen Nachhaltigkeit zunehmend in ihre Geschäftsstrategien, oft ohne öffentliche Kommunikation und PR.
Europäische „Vereinfachungen“ kontra strategische US‑Ivestitionen
In Deutschland und der EU neigen Unternehmen angesichts unsicherer Regelungen zur Defensive. Einige berichten gar von Reduzierungen in ESG‑Teams, als Reaktion auf unklare Vorgaben etwa bei der CSRD oder CSDDD. Im April 2025 verschob das EU‑Parlament erneut Zeitpläne und entschärfte Anforderungen, während aktuelle Omnibus‑Verhandlungen höhere Schwellenwerte sowie Fristverschiebungen bringen. Zugleich mahnt Deloitte verstärkt den Einsatz von Lebenszyklusanalysen, KI und Datenplattformen zur Systemoptimierung an – doch viele Unternehmen bleiben zurückhaltend².
Demgegenüber halten US‑Unternehmen an ihren Nachhaltigkeitsausgaben fest: Laut EcoVadis Studie vom Juli 2025 haben 87 % der befragten US‑Unternehmen ihre Investitionen beibehalten oder erhöht – trotz regulatorischer Unsicherheiten und politischer ESG‑Kritik³. Dabei vermeiden viele eine mediale Begleitung, 31 % reduzieren ihre externe Kommunikation, einige bleiben gänzlich still. Intern werden ESG‑Maßnahmen jedoch weiterentwickelt und strategisch verankert.
Rahmenbedingungen und ESG im Vergleich
In den USA führt die öffentliche ESG‑Skepsis, etwa durch Widerstand gegen Shareholder‑Resolutions oder den Rückzug aus Initiativen wie der Net‑Zero Banking Alliance, zu einer vorsichtigen Außendarstellung. Gleichzeitig erkennen Unternehmen dort zunehmend den strategischen Mehrwert von ESG‑Investitionen, insbesondere in der Lieferkettenresilienz und Risikosteuerung.
Zwischen Ambition und Minimalismus
In Europa hingegen zeigt sich eine gespaltene Entwicklung: Unternehmen, die ESG als integralen Bestandteil ihres Geschäftsmodells begreifen, treiben ihre Aktivitäten unabhängig von regulatorischen Vorgaben weiter voran. Andere agieren eher reaktiv und minimieren ihren Ressourceneinsatz. In einem Interview mit Green Digest kategorisierte Anke Hampel, Group Head of Sustainability bei ABB kürzlich die Haltung von Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit sehr zutreffend als die “3 F’s”: Flee (Fliehen), d. h. völlige Abkehr von der Nachhaltigkeit; Freeze (Einfrieren), d. h. Beibehaltung des Status quo, aber Unterbrechung der Bemühungen, oder Fast Forward (Vorlauf) mit Beibehaltung oder Stärkung der Maßnahmen und Aktionen unabhängig von Regulierungen.
Der Sustainability People Report 2025 bestätigt diese Spaltung: Während einige Unternehmen ihr Nachhaltigkeitsmanagement professionalisiert haben, reduzieren andere ihren Aufwand⁵. Die Unterschiede in Ambitionsniveaus nehmen zu, ebenso wie die Kluft zwischen Befürwortern und Skeptikern auf Führungsebene. Wo Geschäftsleitungen Nachhaltigkeit unterstützen, erwarten 30 % der Nachhaltigkeitsverantwortlichen eine weitere Stärkung dieser Haltung. Bei ablehnender Führung rechnen 39 % mit zunehmender ESG‑Ablehnung.
Technologieeinsatz und strategischer ESG‑Fokus
US‑Führungskräfte sehen ESG verstärkt als Teil ihrer Resilienz‑ und Risikoarchitektur. Laut EcoVadis wird gezielt in Technologien investiert, um Lieferketten zu stabilisieren, Risiken zu managen und Wachstum zu ermöglichen. Der Einsatz von KI nimmt zu, insbesondere in der ESG‑Analyse, im CO₂‑Reporting und bei der Risikobewertung. Damit steigen auch Anforderungen an Governance, Datenqualität und Transparenz.
Gleichzeitig wächst die Themenvielfalt. S&P Global nennt zehn zentrale ESG‑Schwerpunkte für 2025 – von CO₂‑Bepreisung über Biodiversitätsschutz bis hin zu sozialer Gerechtigkeit⁶. Investoren und Regulatoren erhöhen die Anforderungen. Clifford Chance warnt vor steigender ESG‑Litigation, getrieben durch NGOs und Finanzierer. MSCI prognostiziert ein starkes Wachstum des freiwilligen CO₂‑Kreditmarkts – von 1,5 Mrd. USD (2024) auf bis zu 35 Mrd. USD bis 2030.
Wer ESG weiterhin nur als regulatorische Pflicht interpretiert, riskiert wirtschaftliche und reputative Einbußen.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Während viele europäische Firmen auf Klarheit warten, verankern US‑Konzerne ESG zunehmend intern – mit Fokus auf Daten, Technologien und Finanzierung. Dabei stehen Green Bonds, ESG‑linked Loans und Plattformlösungen im Vordergrund – weniger die externe Kommunikation.
Fazit
Europa bietet mit seinem regulatorischen Rahmen prinzipiell Stabilität – doch der gegenwärtige Reformzyklus sorgt für Verunsicherung. CSRD und CSDDD werden angepasst, Fristen verschoben, Schwellenwerte erhöht¹. Das führt vielerorts zu einem ESG‑Wartemodus und Verunsicherung.
In den USA zeigen Unternehmen, dass ESG auch ohne regulatorische Sicherheit als strategischer Faktor behandelt werden kann. Sie professionalisieren ihre Datenlandschaften, investieren gezielt und entwickeln resiliente Lieferkettenstrukturen, häufig abseits der öffentlichen Bühne.
Externer Druck steigt: CO₂‑Bepreisung, Biodiversitäts‑ und Menschenrechtsanforderungen, ESG‑bezogene Klagerisiken und Kapitalmarkterwartungen lassen wenig Spielraum für Inaktivität. Die ESG‑Zukunft gehört nicht jenen, die am lautesten kommunizieren, sondern denen, die konsequent handeln – mit Blick auf Strategie, Transparenz und Resilienz.
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