Nachhaltigkeitsratings: Überprüfung und Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung in der öffentlichen Beschaffung

August 22, 2020 Stephanie Dinter-Crocq

Die öffentlichen Ausgaben machen bis zu 14 Prozent des BIP in der Europäischen Union aus. In Deutschland allein macht die öffentliche Beschaffung jährlich ca. 19 Prozent des BIP aus, mit einem Volumen von rund 500 Milliarden Euro für die Beschaffung von Bau-, Dienst- und Lieferleistungen. Durch diese Höhe der Ausgaben ist der Einkauf wohl eines der direktesten Mittel für Organisationen, nachhaltiger zu wirtschaften. 

Die öffentlichen Ausgaben machen bis zu 14 Prozent des BIP in der Europäischen Union aus. In Deutschland allein macht die öffentliche Beschaffung jährlich ca. 19 Prozent des BIP aus, mit einem Volumen von rund 500 Milliarden Euro für die Beschaffung von Bau-, Dienst- und Lieferleistungen. Durch diese Höhe der Ausgaben ist der Einkauf wohl eines der direktesten Mittel für Organisationen, nachhaltiger zu wirtschaften. Jeder Vertrag, den eine Regierung, eine öffentliche Organisation, Gemeinde o.ä. für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen nutzt, ist eine Gelegenheit, negative Auswirkungen auf das Klima, die Umweltqualität, die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern zu reduzieren oder umzukehren - und positive Ergebnisse durch die Entwicklung der Gemeinschaft, solide Lieferantenbeziehungen, Transparenz und Gerechtigkeit zu erzielen.

Green Deal plus Menschenrechte

Für die öffentliche Beschaffung ist es oftmals nicht so einfach, ihrer Pflicht zur Vorbildwirkung nachzukommen und Veränderungen durchzusetzen, trotz der erhöhten Flexibilität, die durch die EU-Richtlinien für das öffentliche Beschaffungswesen im Jahr 2014 eingeführt wurde. Oftmals ist starkes Engagement gefordert, wenn es darum geht, soziale und ökologische Kriterien in die individuellen öffentlichen Ausschreibungen aufzunehmen und als Eignungskriterien zu gewichten. Jedoch werden häufig nur jene ökologischen Kriterien fokussiert, die sich auf die Funktionalität der Produkte beziehen, und nicht auf die Praktiken der Anbieter, die hinter diesen Produkten stehen. Damit wird die Umsetzung einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft nicht nur zu einer Herausforderung, sondern lange nicht ausreichend, solange sie soziale und menschenrechtliche Kriterien in der Lieferkette nicht einbezieht. Um einen wirklichen Wandel herbeizuführen und einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der strategischen Nachhaltigkeitsziele zu leisten, ist es entscheidend, die Auswirkungen des gesamten Produktionszyklus zu erkennen, nicht nur die Produktfunktionalität, und tiefer in die Lieferkette zu blicken, um ökologische, ethische und soziale Geschäftspraktiken zu berücksichtigen.

Weiterdenken in Lieferketten: Nachhaltigkeit zahlt sich aus

Nachhaltigkeit und nachhaltige Beschaffung gelten immer noch oft als reine Kostenstelle, jedoch haben Studien und Praxiserfahrungen mittlerweile gezeigt, dass sich nachhaltiges Engagement auszahlt: Privatunternehmen mit nachhaltiger Beschaffung können Umsatzsteigerungen zwischen 5 und 20 Prozent, Kosteneinsparungen zwischen 9 und 16 Prozent und eine Steigerung der Markenbekanntheit zwischen 15 und 30 Prozent erzielen (WEF 2015).

Ähnliche Potenziale ergeben sich auch für die öffentliche Beschaffung, so hat beispielsweise eine Potenzialanalyse des Ökö-Instituts e.V.[1] gezeigt, dass die Berliner Landesverwaltungen mit umweltfreundlichen Produkten und Dienstleistungen die Treibhausgasemissionen um ca. 47 Prozent im Vergleich zur konventionellen Beschaffung senken könnten. Die damit einhergehende Einsparung von Energiekosten könnte zu einer Entlastung des Landeshaushalts um jährlich 38 Mio. Euro führen.[2]

Neben den Kosteneinsparungen können weitere Mehrwerte durch Nachhaltigkeit und nachhaltige Beschaffung in verschiedenen weiteren Bereichen erzielt werden, z.B. durch Innovationen und innovative Produktentwicklung durch gesteigerte Nachfrage seitens der öffentlichen Hand und den daraus resultierenden positiven Einfluss auf die gesamte Produktkategorie.

“Nachhaltigkeit ist für die Beschaffung der DB ein wesentlicher Werttreiber und ein strategischer Wettbewerbsfaktor. Nachhaltigkeitskriterien beeinflussen zunehmend die Gestaltung unserer Lieferbeziehungen und unsere konkreten Beschaffungsentscheidungen. [...] Unsere Lieferanten übernehmen mit ihren Nachhaltigkeitsleistungen und ihrer Innovationskraft eine aktive Rolle für den gemeinsamen Geschäftserfolg.” Deutsche Bahn

Die Studie “Better Business, Better World” der Business and Sustainable Development Commission untersuchte vier wirtschaftliche Ökosysteme: Lebensmittel und Landwirtschaft, Städte, Energie und Materialien sowie Gesundheit und Wohlergehen und stellte fest, dass die 60 größten Möglichkeiten bis 2030 Unternehmenseinnahmen und Einsparungen in Höhe von mindestens 12 Billionen Dollar pro Jahr und bis zu 380 Millionen Arbeitsplätze schaffen könnten.

Nachhaltigkeitsratings: Treiber für Leistung und Verbesserungen

Ein "Check-the-Box"-Ansatz reicht jedoch nicht aus, und es ist an der Zeit, Nachhaltigkeit von Beginn an als integralen Bestandteil in die Ausschreibungs- und Vergabepraxis einzubinden und innovative Lösungen für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung umzusetzen, die im privaten Sektor derzeit zur Norm werden. Um sicherzustellen, dass öffentliche Mittel weltweit keine ökologischen, sozialen und ethischen Schäden finanzieren, ist ein robustes Überprüfungssystem erforderlich. Öffentliche Einkäufer gehen verstärkt über die Beschränkung auf Produkt- oder Dienstleistungsinhalte hinaus und setzen Instrumente wie Nachhaltigkeitsratings an Schlüsselpunkten entlang des Prozesszyklus der öffentlichen Beschaffung ein. EcoVadis unterstützt seit mehr als 13 Jahren nachhaltige Beschaffungprogramme der größten Organisationen der Welt und mehr als 65.000 Unternehmen weltweit mit seinen Nachhaltigkeitsbewertungen - und diese stehen auch für das öffentliche Beschaffungswesen zur Verfügung. Einige große öffentliche Organisationen in ganz Europa, u.a. in Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien, haben einen solchen Ansatz umgesetzt und Nachhaltigkeitsbewertungen in das öffentliche Auftragswesen einbezogen.

„Das neue italienische Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen stellt die soziale Verantwortung der Unternehmen als wichtige Voraussetzung für die Ausschreibung und Vergabe dar. In der Praxis gibt es konkrete Schwierigkeiten: Wie kann man die CSR-Praktiken eines Unternehmens analysieren und eine legitime Bewertung abgeben, ohne über entsprechende Expertise zu verfügen? Wie kann diese Analyse rechtzeitig durchgeführt werden, um die Bedingungen für eine Ausschreibung zu erfüllen? Wir haben uns für die Monitoring-Plattform EcoVadis entschieden, weil dank ihrer Methodik die Bewertungen für große und kleine Unternehmen sowie branchenübergreifend vergleichbar sind.“ Edgardo Greco, Rete Ferroviaria Italiana

Nachhaltigkeitsratings können dabei punktuell oder ganzheitlich in den Beschaffungsprozess integriert werden und bieten so die Möglichkeit, die Leistung bezüglich relevanter Kriterien abzufragen, sie kontinuierlich zu monitoren und Verbesserungen umzusetzen.

 Jedes Unternehmen wird im Hinblick auf die Kriterien bewertet, die für seine Größe, seinen Standort und seine Branche relevant sind. Diese evidenzbasierten Bewertungen werden in einfach zu lesende Scorecards mit Punktzahlen von Null bis Hundert überführt. Darüber hinaus zeigen die Scorecards die Stärken und Verbesserungsbereiche auf, die bewertete Unternehmen dafür nutzen können, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen gezielter auszurichten, zu verbessern und permanent nachzupflegen. Auf diese Weise erhalten die öffentliche Beschaffung und ihre Einkaufsexpertinnen und -Experten konkrete und vergleichbare Leistungsbewertungen, die es Ihnen ermöglichen, Nachhaltigkeitskriterien in allen Phasen des Beschaffungsprozesses abzufragen, nachzuverfolgen, Best Practices einzusehen. die Leistung in ihren Lieferketten zu verbessern und so einen maßgeblichen positiven Beitrag zu leisten.

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich in der Oktoberausgabe von Kleine Kniffe - Das Magazin für einen nachhaltigen Einkauf veröffentlicht.

 

 

[1] Gröger, J./Stratmann, B./Brommer, E., Öko-Institut e. V.: Umwelt- und Kostenentlastung durch eine umweltverträgliche Beschaffung, 2015; https://www.oeko.de/oekodoc/2379/2015-541-de.pdf

 

[2] Vgl. Hermann, Andreas, Öko-Institut e.V.: Umweltfreundliche Beschaffung, Hrsg. Umweltbundesamt, 2019; https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/190827_uba_schulungsskript_1_bf.pdf

About the Author

Stephanie Dinter-Crocq

Stephanie berät seit 10 Jahren strategische Großkunden von EcoVadis in der Implementierung von nachhaltigen Beschaffungsprogrammen. Davor war sie als Beraterin für nachhaltige Beschaffung tätig und zuvor im operativen Einkauf und im Management von Beschaffungsteams. Bei EcoVadis koordiniert sie außerdem Sektoreninitiativen in der übergreifenden Umsetzung zur Transparenz in deren globalen, oft vernetzten Lieferketten.

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