Die deutsche Bundesregierung hat bereits 2016 mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte deutsche Unternehmen aufgerufen, menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang ihren Lieferketten nachzukommen. Ziel des NAPs ist es, die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen und die menschenrechtliche Situation in den Wertschöpfungsketten national und weltweit zu verbessern.
"Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) setzt für sein Monitoring die Zielvorgabe, dass bis 2020 mindestens die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Beschäftigten nachweislich die Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt angemessen in ihre Unternehmensprozesse integriert hat." (Quelle: Auswärtiges Amt) Die Ergebnisse der zweiten NAP-Monitoringrunde, die gerade am 14. Juli vorgestellt wurden, waren ernüchternd: Nur 455 der 2.250 befragten Unternehmen haben gültige Antworten zurückgemeldet und damit kommen deutlich weniger als 50% ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nach.
Quelle: Twitter @BMZ_Bund
In der Pressemitteilung dazu hieß es von Seiten des Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller: "Die Ergebnisse der zweiten Unternehmensbefragung sind erneut enttäuschend. […] Fairer Handel in globalen Lieferketten ist der wichtigste Schlüssel für Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz der Umwelt in den Entwicklungsländern. Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit darf nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstandes werden.“ Sein Fazit: Es braucht einen gesetzlichen Rahmen, um grundlegende Mindeststandards zu gewährleisten.
Die Debatte in der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft um ein solches Gesetz, ist kein neues Phänomen. Seit 2013 wird viel diskutiert, mit dem Fazit, dass seit 7 Jahren diskutiert wird.
Auch eine kürzliche Kurzbewertung der 20 größten deutschen Unternehmen des Business & Human Rights Resources Centre zeigte schon ähnliche Tendenzen wie die beiden NAP-Monitoring-Befragungen 2019 und 2020: "Keines der größten deutschen Unternehmen hat laut Analyse durchgängig ein Grundniveau bei der Achtung der Menschenrechte erreicht”.
"Was wird von Unternehmen erwartet? Die Botschaft ist klar: Kennen Sie Ihre Lieferanten und zeigen Sie die Ergebnisse Ihrer Bemühungen, um Sklaverei in der Lieferkette zu verhindern."
Whitepaper “Moderne Sklaverei in Lieferketten: Neue Gesetzeslandschaft und Due-Diligence-Strategien"
Menschenrechte brauchen mehr als Compliance
Die Coronakrise hat die Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt, um anderen Krisen, vorrangehend der Klimakrise, zukünftig zu begegnen und den „Neustart“ nach Corona ökologisch und umweltschützend zu gestalten. Gleichzeitig ist der ökonomische Coronafaktor an einigen Stellen zu einem Gegenargument für Nachhaltigkeit instrumentalisiert worden und Maßnahmen, wie auch die Vorstellung des Gesetzesentwurfs im März, ausgebremst worden, um Unternehmen in der Krise nicht noch weiter zu belasten. So sagte bspw. der stellvertretende DIHK-Geschäftsführer Achim Dercks im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio mit Bezug auf Exporteinbrüche und durch Corona verursachte wirtschaftliche Krise vieler Unternehmen: "In dieser Situation sind alle zusätzlichen Belastungen natürlich Gift." und bezeichnet ein mögliches Gesetz als Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen. Gleichzeitig warnen Experten, dass Menschenrechte durch die Coronakrise verstärkten Gefahren ausgesetzt sind: "Die Erfahrungen aus früheren Krisensituationen, wie z.B. der Ebola-Epidemie 2014, haben gezeigt, dass diese Faktoren eine besonders starke Rolle bei der Verschärfung des Risikos von Kinder- und Zwangsarbeit spielen." (IAO)
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) befinden sich 16 Millionen der geschätzten insgesamt 40 Millionen Opfer der modernen Sklaverei in Zwangsarbeitssituationen im Privatsektor. Laut dem Global Slavery Index importieren die G20-Länder jährlich risikobehaftete Produkte im Wert von 354 Milliarden Dollar, wobei 12 der G20-Länder keine Maßnahmen ergreifen, um die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zu stoppen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie durch Zwangsarbeit hergestellt werden (The Global Slavery Index).
Fakt ist, dass wenn wir über diese menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten sprechen, es sich dabei um jeglichen negativen Einfluss handelt, den ein Unternehmen auf die Menschenrechte ihrer Stakeholder hat - durch ihre Produkte, Services oder Business Operations. Das Deutsche Global Compact Netzwerk bietet regelmäßig ein Einführungswebinar zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte an. Ein Punkt, der darin vom DGCN explizit hervorgehoben wird, ist, dass die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, das Risiko adressiert: Risiko = Risiko für Betroffene, nicht für das Unternehmen.
Neben der Politik und diversen Verbänden meldet sich auch die Wirtschaft selbst zu Wort und diskutiert das Thema ebenfalls kontrovers. So hatten sich Ende 2019 mehr als 50 Unternehmen für eine legislative Regulierung ausgesprochen, darunter Unternehmen wie Nestlé, Kik, Ritter Sport, Hapag-Lloyd, REWE und Tchibo. In einem ausführlichen Positionspapier von Tchibo heisst es: „Wir halten es für die Pflicht aller Unternehmen, Menschenrechte und Umweltschutz in ihren Wertschöpfungsketten einzuhalten – und zwar auf allen Stufen.“
Die Minimierung von mit Menschenrechtsverletzungen verbundenen Risiken erfordert nicht nur die Einhaltung geltender Bestimmungen, sondern auch engagierte Bemühungen, Verbesserungen in der Lieferkette voranzutreiben. Bestimmte Risiken sind eng miteinander verbunden. Menschenhandel oder Zwangsarbeit zum Beispiel sind häufig mit komplexen Subunternehmerketten verbunden, in deren Zwischenstufen oft Korruption vorherrscht. Spätestens hier gelangen viele Unternehmen an ihre Grenzen, Risiken sichtbar zu machen und Transparenz zu erhalten.
Die Gesetzeslandschaft verändert sich international
Im November 2018 hat Australien als aktuelle Rechtsprechung ein Gesetz verabschiedet, das Unternehmen verpflichtet, über ihre Bemühungen zur Verhinderung von Sklaverei in ihren Lieferketten zu berichten. Genau wie der UK Modern Slavery Act (2015) verlangt das Gesetz von jedem Unternehmen, das in Australien tätig ist und bestimmte Umsatzschwellenwerte erreicht, jährlich über seine Bemühungen und Due-Diligence-Maßnahmen zur Verhinderung von Sklaverei in den Lieferketten zu berichten. Die Offenlegungspflichten spiegeln einen breiteren internationalen Transparenztrend wider - das immer dichter werdende Netz nationaler Gesetze, einschließlich der EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung und des französischen "Loi de Vigilance"
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Die Gesetze zur Offenlegungspflicht sind zwar nach wie vor am sichtbarsten, aber sie sind nur ein Teil des wachsenden legislativen Trends westlicher Nationen, Menschrenrechte zu stärken und Zwangsarbeit und Menschenhandel in der Lieferkette einzudämmen. Obligatorische Due-Diligence-Gesetze - ähnlich wie die Gesetze zur Offenlegungspflicht, da sie von den Unternehmen eine Due-Diligence-Prüfung der Lieferkette erwarten - sind breiteres Spektrum von Durchsetzungsinstrumenten zur Rechenschaft ziehen. Die Vereinigten Staaten - durch die Federal Acquisition Regulation (FAR) - verlangen von allen staatlichen Auftragnehmern den Nachweis von Due-Diligence-Bemühungen zur Verhinderung von Sklaverei. Aber das vielleicht schwierigste für Unternehmen, die Waren in die USA importieren, ist der U.S. Tariff Act, der nun den US-Zoll- und Grenzschutz mit der Befugnis ausstattet, alle Waren aufzuhalten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie mit Sklavenarbeit hergestellt wurden.
Auch in Europa gibt weitere Entwicklungen, wie beispielsweise das "Wet Zorgplicht Kinderarbeid" ("Child Labor Law") in den Niederlanden, das 2019 verabschiedet wurde oder die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative, die eidgenössische Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt" in der Schweiz, die im November 2020 zur Abstimmung gebracht wird.
Wettbewerbsvorteil verantwortungsvolle Beschaffung
Viele Unternehmen wollen abwarten, wie sich die Bundesregierung bezüglich einer gesetzlichen Regelung entscheidet und ob und wie, dass Thema auf europäischer Ebene vorangetrieben wird. Einheitliche regulatorische EU-Standards könnten hier einen hilfreichen Orientierungsrahmen und faire Wettwerbsbedingungen schaffen. Fest steht jedoch, dass die Bekämpfung von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen nicht warten kann. Nicht nur die regulatorischen Anforderungen wachsen, sondern auch die Anforderungen der Stakeholder, der Mitarbeiter, Kunden und Investoren, die verantwortungsbewusstes Handeln von Unternehmen erwarten. Nachhaltige Beschaffung ist nicht mehr "nice to have", sondern wird zum "must have"-Faktor für Geschäftskontinuität und Zukunftsfähigkeit.
Die aktuelle Covid-19-Krise hat den Zusammenhang von nachhaltiger Beschaffung und widerstandsfähigen Lieferketten deutlich offengelegt und Studien haben durchgehend gezeigt, dass Unternehmen durch die Einbettung von Nachhaltigkeitspraktiken in die Beschaffungsprozesse einen ROI erzielen.
Al Ianuzzi zitiert in seinem Buch Greener Products neben vielen anderen Beispielen PepsiCo, die durch die Reduzierung ihres betrieblichen Wasserverbrauchs um 26% bis zu 80 Millionen Dollar einsparte. In einer Studie über brasilianische Rinder wurde festgestellt, dass Viehzüchter, die nachhaltige Praktiken anwenden, ihre Produktivität um das 2,3fache und ihre Rentabilität um fast das 7fache steigern konnten. 53% der Sustainable Procurement Leader sagen, dass sich die Beschaffungskennzahlen ihrer Organisation dank der verantwortungsvollen Einkaufspraktiken verbessert haben. Laut CDP, ehemals Carbon Disclosure Project, haben mehr als 50% der großen Unternehmen und 25% ihrer Zulieferer Kosteneinsparungen durch ihre Aktivitäten im Bereich des Kohlenstoffmanagements erzielt. Unterdessen zeigte der Beyond Supply Chains-Bericht des Weltwirtschaftsforums und von Accenture aus dem Jahr 2015, dass die Vorteile dieser Praktiken einen dreifachen Nutzen aufweisen, indem Unternehmen Rentabilität erzielen und gleichzeitig der Gesellschaft und der Umwelt zugute kommen – einschließlich Kostenreduzierung in der Lieferkette von 9-16%.
Tatsächlich können bis zu 90% der Nachhaltigkeitsauswirkungen eines Unternehmens durch die Lieferkette verursacht werden. Damit dieses Potenzial jedoch voll genutzt werden kann, müssen Unternehmen mehr tun, als sich nur an Mindeststandards zu halten. Sobald sie darüber hinausgehen und ihre Nachhaltigkeitsinitiativen als einen Weg zur Erzielung positiver Auswirkungen nutzen, kann dies nicht nur neue Chancen eröffnen, sondern auch messbaren Unternehmenswert schaffen.
Die Verwendung einer umfassenden Methodik, die verschiedene Arten von Risiken abdeckt, ist der beste Weg, um die Menschenrechte in Ihrer Lieferkette zu schützen. Schauen Sie sich unser Whitepaper “Moderne Sklaverei in Lieferketten: Neue Gesetzeslandschaft und Due-Diligence-Strategien" an, um zu erfahren, wie Sie sicherstellen können, dass Sie nicht nur die Gesetzgebung einhalten, sondern wirklich genug tun, um Risiken zu identifizieren und Menschenrechte in Ihrer Lieferkette zu schützen.
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Die EcoVadis Sustainability Intelligence Suite und die damit verbundenen Dienstleistungen und Services unterstützen Unternehmen bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichtanforderungen in dem sich weiterentwickelnden gesetzlichen Kontext:
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