Unternehmen weltweit sehen sich nicht nur mit steigenden Erwartungen seitens ihrer Stakeholder konfrontiert, sondern auch mit einer Vielzahl neuer und oft unklarer gesetzlicher Anforderungen, insbesondere im Bereich der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten.Umso mehr nimmt das Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen eine neue strategische Dimension an: Es wird zunehmend zum integralen Bestandteil des unternehmerischen Risikomanagements.
Vor diesem Hintergrund liefert der jährlich erscheinende Index von EcoVadis wertvolle datenbasierte Einblicke in die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen weltweit. Der vorliegende Artikel beleuchtet die Position deutscher Unternehmen im internationalen Vergleich für das Jahr 2024. Im Fokus stehen dabei Stärken, Schwächen und konkrete Handlungsfelder, insbesondere im Bereich nachhaltiger Beschaffung.
1. Gesamtniveau: Deutschland im soliden Mittelfeld, aber mit begrenzter Exzellenz
2024 erreichen 63 % der in Deutschland bewerteten Unternehmen die EcoVadis Kategorie "Gut" (Punktzahl 45-64), weitere 20 % erzielen "Fortgeschritten"-Bewertungen (65-84). Damit liegt Deutschland zwar über dem globalen Durchschnitt, jedoch deutlich hinter den Spitzenreitern Schweden und Frankreich, bei denen jeweils 35 % der Unternehmen als "Fortgeschritten" eingestuft werden. Auch im EU-weiten Vergleich (27 % "Fortgeschritten") zeigt sich ein Aufholbedarf.
2. Positive Entwicklung: Deutschland legt zu, bleibt aber unter Potenzial
Im Vierjahresvergleich (2020–2024) steigt der durchschnittliche EcoVadis Score deutscher Unternehmen von 50,3 auf 55,4 Punkte. Dieses Plus von 5,1 Punkten liegt auf Augenhöhe mit der EU (+5,3 Punkte) und dem OECD-Durchschnitt (+5,0 Punkte), bleibt aber hinter Asien-Pazifik (+7,6 Punkte) und Schweden (+6,4 Punkte) zurück. Insbesondere der Nachholbedarf in Asien wird durch die starke Dynamik deutlich, die den Druck auf etablierte Industrienationen wie Deutschland erhöht, die eigene Ambition nachzuschärfen.
3. Wiederholte Assessments wirken: Reifegrad steigt mit Monitoring
Die Wirkung kontinuierlicher Nachhaltigkeitsbewertungen zeigt sich klar: In Deutschland erzielen Unternehmen mit zwei oder mehr EcoVadis Ratings im Jahr 2024 durchschnittlich 58,4 Punkte – ein Plus von 8 Punkten gegenüber Unternehmen mit nur einer Bewertung (50,4 Punkte). Dieses Muster zeigt sich ähnlich in anderen Regionen. Die Zahlen belegen, dass Nachhaltigkeitsmanagement ein Reifeprozess ist, der durch Regelmäßigkeit, Feedback und Wissensaufbau messbar verbessert wird.
4. Thematischer Fokus: Defizite bei nachhaltiger Beschaffung
Ein besonders kritisches Ergebnis zeigt sich im Thema "Nachhaltige Beschaffung": Hier erzielt Deutschland mit durchschnittlich rund 45 Punkten über alle Unternehmensgrößen hinweg den niedrigsten Wert unter den betrachteten Ländern. Frankreich und Schweden schneiden hier signifikant besser ab. Dies ist insbesondere im Kontext des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) relevant, das gerade im Bereich Einkaufspraktiken konkrete Nachweispflichten für Unternehmen vorsieht. Dennoch erzielen auch große deutsche Unternehmen im Thema Nachhaltige Beschaffung in 2024 nur 48,4 Punkte (vs. Frankreich 58,3 Punkte).
Interessant ist jedoch ein Blick auf die Nachhaltigkeitsleistung der Lieferanten deutscher Unternehmen. Im Jahr 2020 lag diese im Gesamtdurchschnitt in China bei 36,7 und in APAC bei 39,6 Punkten - deutschlandweit stammen etwa 11,9 % aller Warenimporte aus China und ca. 22 % aus der APAC-Region. 2024 verbessert China die durchschnittliche Gesamtpunktzahl auf 45,7 und (+8,4) und APAC auf 47,3 Punkte (+7,7). Im Jahr 2024 erlebten wir weltweit einen deutlichen Schub in Richtung Transparenz in der Lieferkette, wobei das Bewertungsvolumen in allen Regionen zunahm. China verzeichnete einen bemerkenswerten Anstieg der Bewertungen um 37 % - bei gleichzeitiger Leistungsverbesserung. Währen 2020 der Anteil der “ungenügenden” Leistung in China noch bei 13 % lag (APAC bei 10 %) und der der “teilweisen” Leistung bei 65 % in China und 57 % in APAC, liegen diese Werte in 2024 für chinesische Unternehmen bei nur noch 42 % mit teilweiser Leistung, 7 % nur noch bei “ungenügend” - dafür bei “guter” Leistung mit einem Anstieg von 21 % auf 42 % und 9 % sogar mit “fortgeschrittener” Leistung. Ähnliche Entwicklungen sind in APAC zu verzeichnen, hier hat sich der Prozentsatz der ungenügenden Leistung auf 37 % reduziert und 47 % liegen bei guter Leistung, 11 % bei fortgeschrittener Leistung.
5. Vergleich konkreter Maßnahmen: Deutschland mit Nachholbedarf bei operativer Umsetzung
Die Größe eines Unternehmens hat entscheidenden Einfluss auf die Implementierung nachhaltiger Beschaffungspraktiken. In Deutschland haben 80 % der Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitenden einen Verhaltenskodex für Lieferanten etabliert, gegenüber nur 28 % bei Unternehmen mit 25-99 Mitarbeitenden und 46 % bei 100-999 Mitarbeitenden. Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei Lieferantenbewertungen, Risikoanalysen und Trainings. Dies unterstreicht die Bedeutung von Skaleneffekten und interner Compliance-Kapazität.
Ein genauer Blick auf die nachhaltigen Beschaffungspraktiken großer Unternehmen zeigt: Deutschland ist gut aufgestellt, bleibt im Vergleich jedoch zurück. Während 80 % der deutschen Unternehmen einen Supplier Code of Conduct etabliert haben, liegt Schweden hier bei 89 %. In Bereichen wie Lieferantenbewertungen (68 % in DE vs. 80 % in FR und 83 % in CH) oder Trainings für Einkäufer*innen (44 % in DE vs. 60 % in CH, 53 % in A) zeigt sich eine deutliche Lücke in der D-A-CH-Performance. Im Kapazitätsaufbau liegen alle betrachteten Länder im unterschwelligen Bereich unter 40 %, wobei Österreich hier mit 39 % vor deutschen Unternehmen mit nur 22 % vorlegt.
Die Einbindung von Nachhaltigkeitskennzahlen in die Leistungsziele von Einkäufer*innen sowie Incentivierungsprogramme für Lieferanten gehören in allen Ländern zu den am wenigsten genutzten Maßnahmen großer Unternehmen.
6. Thematische Stärken: Arbeits- und Menschenrechte solide adressiert
Im Bereich "Labor and Human Rights" erzielen große deutsche Unternehmen (>1000 MA) mit rund 58 Punkten ein gutes Niveau, liegen damit jedoch hinter Österreich, Schweden und Frankreich (alle über 60 Punkte). Dies verdeutlicht, dass trotz positiver Entwicklungen weiteres Potenzial in der menschenrechtlichen Sorgfalt liegt – insbesondere angesichts der zukünftigen Anforderungen der CSDDD.
7. Branchenvergleich: Deutschland stark in Heavy Manufacturing, schwächer im Baugewerbe
Eine differenzierte Betrachtung nach Branchen zeigt signifikante Unterschiede innerhalb Deutschlands. Die besten Scores erreichen deutsche Unternehmen im Bereich Heavy Manufacturing (63,2), Finance & Consulting (61,3) sowie ICT (60,1). Besonders positiv ist, dass Deutschland hier auf Augenhöhe mit oder sogar über dem EU-Durchschnitt liegt. Deutlich schwächer sind hingegen die Werte in der Bauwirtschaft (Construction, 52,2) und im Transportsektor (50,9). Gerade in diesen Sektoren, die stark durch Subunternehmerstrukturen und komplexe Lieferketten geprägt sind, zeigt sich ein erhöhter Handlungsbedarf hinsichtlich Risikoanalysen, Trainings und ESG-Standards.
Fazit
Deutschland bewegt sich im internationalen Nachhaltigkeitsbenchmark auf solidem Niveau, verzeichnet Fortschritte, bleibt jedoch in der operativen Tiefe und bei KMU deutlich hinter den Spitzenreitern zurück. Besonders die nachhaltige Beschaffung stellt ein zentrales Entwicklungsfeld dar. Vor dem Hintergrund verschärfter EU-Regulierung (CSDDD, CSRD) und erhöhter Transparenzanforderungen müssen Unternehmen in Deutschland – insbesondere im Mittelstand – ihre Due-Diligence-Strukturen professionalisieren. Chancen liegen im Aufbau standardisierter Lieferantenmanagementsysteme, in der Verstetigung von Assessments sowie in der gezielten Schulung der Einkaufsabteilungen. Nur so kann Deutschland den Anschluss an die europäischen Vorreiter langfristig halten.
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