Neue Evidenz aus Frankreich entkräftet alte Vorurteile
Seit Jahren warnen Kritiker*innen davor, dass gesetzliche Sorgfaltspflichten in Lieferketten die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gefährden könnten. Höhere Kosten, mehr Bürokratie, weniger Flexibilität – so lauten die Argumente. Doch eine neue Studie von Christoph Steinert (Universität Zürich) und Bernhard Reinsberg (University of Glasgow) liefert nun erstmals belastbare empirische Belege, die diese Sorge relativieren.
Im Zentrum der Untersuchung steht das französische „Loi de Vigilance“, das 2017 in Kraft trat und seither große Unternehmen verpflichtet, menschenrechtliche und ökologische Risiken in ihrer gesamten Lieferkette systematisch zu identifizieren und zu adressieren. Die Forschenden analysierten die Entwicklung von über 11.000 französischen Unternehmen über mehrere Jahre hinweg – mit einem klaren Ergebnis: Die Einführung der Sorgfaltspflicht hatte keine signifikant negativen Auswirkungen auf Profitabilität oder Umsatz.
Pflicht trifft Praxis: Was Sorgfaltspflichten wirklich für Unternehmen bedeuten
Die Studie liefert nicht nur eine Momentaufnahme, sondern ein differenziertes Bild über die Zeit hinweg. Bereits im Vorfeld des Gesetzes begannen viele Unternehmen, ihre Prozesse anzupassen – etwa durch die Schaffung von Compliance-Stellen, die Einführung interner Beschwerdemechanismen oder die systematische Lieferantenprüfung. Diese vorbereitenden Maßnahmen führten kurzfristig zu einem moderaten Anstieg der Personalkosten, doch dieser Effekt blieb temporär. Ein dauerhafter wirtschaftlicher Schaden ließ sich nicht nachweisen.
Interessant ist auch, dass die verpflichtenden Maßnahmen das freiwillige ESG-Engagement nicht verdrängten. Unternehmen, die unter das Gesetz fielen, blieben dem UN Global Compact und anderen Initiativen treu – teils sogar mit stärkerem Engagement. Das zeigt: Verpflichtung und Freiwilligkeit schließen sich nicht aus – sie ergänzen sich.
Ein Plädoyer für die Praxis
Die Bedeutung dieser Studie reicht weit über Frankreich hinaus. Sie liefert genau jene empirische Evidenz, die in vielen Debatten rund um gesetzliche Sorgfaltspflichten bislang fehlte. Während wirtschaftsliberale Stimmen regelmäßig vor den vermeintlich verheerenden Folgen solcher Gesetze warnen, zeigen die Daten: Unternehmen können sehr wohl verantwortungsvoll wirtschaften, ohne an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.
Diese Erkenntnis ist auch mit Blick auf andere europäische Länder relevant – etwa Deutschland mit seinem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die EU mit der CSDDD. Auch dort wird intensiv über Zumutbarkeit, Umsetzungskosten und internationale Wettbewerbsfähigkeit diskutiert. Die französische Studie zeigt nun: Die Praxis ist oft weniger dramatisch als die Theorie.
Jenseits der Angst: Warum Sorgfalt sich lohnt
Statt in Panik zu verfallen, lohnt ein nüchterner Blick: Wer frühzeitig in transparente, resiliente Lieferketten investiert, gewinnt langfristig – nicht nur in puncto Compliance, sondern auch durch Vertrauen bei Kunden, Zugang zu nachhaltigen Kapitalquellen und stabile Partnerschaften. Ethische Verantwortung wird zunehmend zur Lizenz für unternehmerisches Handeln in globalen Märkten.
Was die Studie letztlich beweist, ist einfach, aber wirkungsvoll: Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg müssen kein Gegensatz sein. Sie lassen sich – mit kluger Umsetzung und realistischem Blick – sehr wohl miteinander vereinen.
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