Die neue Procurement Compliance: Erfolgsfaktoren Technologie, Mensch & Prozesse

February 15, 2024 Anja Strauss

Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten seit 2023 für Unternehmen zur Pflicht geworden. Eine regulatorische Entwicklung, die weltweit eine zunehmende Tendenz hat und ESG-Compliance vom eigenen Geschäftsbereich bis in die Lieferkette zum neuen strategischen und operativen Must-have macht. Insbesondere in der Lieferkette eine Mammutaufgabe, die eine Neuausrichtung der Beschaffung und damit eine neue Procurement Compliance fordert. Wie der Einkauf LkSG- und ESG-Compliance erzielen und gleichzeitig Wert schaffen kann, erfahren Sie in diesem Artikel.

„Der günstigste Lieferant erhält den Zuschlag“ – Kosten, Qualität und Lieferzeit waren lange Zeit unverwüstlich die drei Beschaffungskritieren, auf denen Einkaufsentscheidungen basierten und die es einzuhalten galt. Der Einkauf, mit einer festen Rolle als Kostenoptimierer im Unternehmen. Lieferkettenkrisen, ausgelöst durch die Pandemie, anhaltende geopolitische Krisen, Klimaextreme und Naturkatastrophen stellen derzeit Resilienz in den Vordergrund der Wertschöpfung. Mit dem LkSG, der CSRD, der geplanten CSDDD bis hin zur EUDR steigt parallel der regulatorische Druck auf Einkaufsorganisationen, negative menschenrechtliche und umweltbezogene Auswirkungen zu mindern und zu vermeiden. Das Zeitalter einer neuen Procurement Compliance hat begonnen, in dem die Gewichtung der traditionellen Beschaffungskriterien neu verteilt wird und Nachhaltigkeit einen essenziellen Platz am Tisch einnimmt.

Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wie“

Die weitverbreiteten Vorurteile, Nachhaltigkeit koste nur, haben sich in vielen Köpfen beharrlich festgesetzt. Von „Bürokratiemonster“ bis „unzumutbar“ werden dem LkSG aus verschiedenen Richtungen negative Attribute zugeordnet. Sklaven- oder Kinderarbeit möchte im Umkehrschluss aber kein Unternehmen in seinen Lieferketten haben. Die lange proklamierte Freiwilligkeit zu nachhaltigen Praktiken und Due Diligence hat dort funktioniert, wo Unternehmen nachhaltige Beschaffung als Schlüsselkennzahl für Wertschaffung erkannt haben, jedoch nicht großflächig. Dagegen steuern jetzt die vielschichtigen und weitgreifenden bestehenden und geplanten Lieferketten-Gesetze auf globaler Ebene. Das „Ob“ ist damit längst beantwortet und für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie LkSG-Anforderungen und zukünftige Gesetze compliant und wirkungsvoll erfüllen können: Welche Regelungen gelten für unser Unternehmen? Wie können wir diese Kriterien in die Beschaffung integrieren? Welche neuen Skills und Werkzeuge braucht unser Einkauf? Die Antwort zur erfolgreichen Umsetzung liegt in „Technologie, Mensch & Prozesse“.

Daten erfassen, messen, verbessern

Daten sind eine unerlässliche Grundlage für ein effektives LkSG-Risikomanagement. Von der KI-gestützen Analyse abstrakter Risiken anhand von Ländern und Branchen bis hin zur Erfassung konkreter Risiken entlang der Lieferkette. Während hierfür lange Zeit Selbstauskünfte von Lieferanten und das Sammeln von Unterschriften zu Lieferanten-Verhaltenskodizes als ausreichend angesehen wurden, lassen die Zuverlässigkeit und damit die Qualität dieser Angaben zu wünschen übrig. Sowie Finanzinstitut eine Kreditvergabe basierend auf reinen Selbstauskünften gewähren würde, sollte keine Beschaffungsentscheidung auf dieser Basis getroffen werden. In der Praxis zeigt sich, dass 89 % aller Dokument im Jahr 2022, die von Lieferanten als Nachweis im EcoVadis Bewertungsprozess eingereicht wurden unzureichend, ungültig, plagiiert oder gefälscht waren. Durch eine fundierte inhaltliche Überprüfung, die bei EcoVadis von einem Team aus mehr als 450 Nachhaltigkeitsexperten und -expertinnen nach einer strengen Methodik und nach dem 6-Augen-Prinzip durchgeführt wird, kann die Richtigkeit und Qualität der Angaben sichergestellt werden. Um eine LkSG-Compliance und gleichzeitig eine Beschaffungscompliance zu erzielen, benötigen Unternehmen nachweisbasierte und überprüfte, validierte Daten.

Die besten Daten sind jedoch nutzlos, wenn sie nicht zugänglich, nicht verständlich oder nicht praktikabel sind. Auch hier fungiert die Technologie als Schlüssel in der Aufbereitung und Darstellung der Daten und die Bereitstellung von Benchmarks und weiterführenden Ressourcen auf einer Plattform.

Mensch schafft Mehrwert

Bei den vielfältigen Herausforderungen, mit denen Einkäufer und Einkäuferinnen kontinuierlich konfrontiert sind, „hat uns das LkSG gerade noch gefehlt“. Wie bei allen Neuerungen und Veränderungen braucht es im Einkauf und darüber hinaus im gesamten Unternehmen ein Change-Management, dass die Transformation in Richtung nachhaltige Beschaffung unterstützt. Wissensaufbau, Sensibilisierung, Akzeptanz, der Bedeutungstransfer zu Sorgfaltspflichten und Nachhaltigkeit an den eigenen Arbeitsplatz und das Enablement zur Umsetzung – dies sind und bleiben die kritischen Faktoren zur erfolgreichen Procurement Compliance. Denn es gilt: die qualitativsten Daten nutzen nichts, wenn sie im Einkauf nicht genutzt werden oder nicht gewusst wird, wie sie effektiv genutzt werden können. Der Kapazitätenaufbau im Einkauf zum Umgang mit dem LkSG und den damit verbundenen Anforderungen an Lieferanten erfordert ein ganzheitliches Verständnis der neuen ESG-Rahmenbedingungen im Unternehmenskontext. Um aus der Theorie in die Praxisumsetzung zu gehen, benötigen Einkäufer und Einkäuferinnen nicht nur das entsprechende Hintergrundverständnis und Bewusstsein, sondern auch eine sinnvolle Integration in die Prozesse und das Supplier-Relation-Management.

Die Einbindung der Lieferanten-Nachhaltigkeitsleistungen in die Zielvereinbarungen von Einkäufer*innen kann ein wichtiger und hilfreicher Schritt bei der Implementierung des Themas in das Day-to-day-Procurement sein. Die Incentivierung schafft einen beidseitigen Mehrwert für Mitarbeitende und das Unternehmen selbst und fördert die Beschaffungscompliance.

Von der Ausschreibung zum Awarding

In Beschaffungsprozessen kann Nachhaltigkeit als Kriterium punktuell, im besten Fall jedoch ganzheitlich eingebunden werden, von der Ausschreibung, über die Vergabe und weiterführend im SRM, um Verbesserungen kontinuierlich voranzutreiben. Dabei ist es essenziell, die Lieferanten auf die Reise mitzunehmen und sie an ihrem jeweiligen Nachhaltigkeitsreifelevel oder Konformitätslevel abzuholen – und statt zu sanktionieren, zu unterstützen und kollaborativ an Verbesserungen zu arbeiten. Wie im Einkauf, so auch in der Lieferkette, ist der Kapazitätenaufbau fundamental für eine LkSG-Compliance und darüber hinaus. In den vergangenen Jahren gab es häufig aus Lieferantenperspektive eine Diskrepanz zwischen dem, was von ihren Kunden in Bezug auf Nachhaltigkeit bspw. in Ausschreibungen gefordert wurde und wie die Nachhaltigkeitsleistung letztlich gewichtet wurde, wenn „am Ende doch wieder der günstigere Lieferant den Auftrag bekommen hat“. Tatsächlich gibt es aber positive Nachrichten aus der Lieferkette: Nachhaltigkeit ist dort angekommen. Das EcoVadis Barometer 2021 hat gezeigt, dass obwohl viele dieser Unternehmen noch keinen Berichtspflichten oder Sorgfaltspflichten unterliegen – und daher Compliance daher nur für 7% der befragten Unternehmen ein Treiber ist - für mehr als die Hälfte der teilnehmenden Lieferanten die Hauptmotivation für ihr Nachhaltigkeitsengagement vom Markt abhängig ist. Für 41 % der Lieferanten liegt die Hauptmotivation für ihr Nachhaltigkeitsengagement sogar eher in der Unternehmensmission als im externen Marktdruck.

Auf dieser intrinsischen Motivation lässt sich nicht nur eine LkSG-Compliance aufbauen, sie bietet dem Einkauf enorme Potenziale für Innovationen und Wertschaffung.

Quelle: Sustainable Procurement Barometer, 2021; © EcoVadis SAS, France 2023. All Rights Reserved.

Die neue Procurement Compliance, mit Nachhaltigkeit im Zentrum der traditionellen Beschaffungskriterien ist nicht nur die Grundlage für das LkSG, sondern bietet darüber hinaus eine Vielzahl an Chancen für Einkaufsorganisationen, Risiken zu mindern und damit positiven Impact zu fördern, Widerstandsfähigkeit zu steigern – und Kosteneinsparungen durch Nachhaltigkeit zu erzielen.


Dieser Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht in "Compliance Manager", Ausgabe 12/2023

Über den Autor

Anja Strauss

Anja Strauß ist Expertin für nachhaltige Beschaffung und verantwortet bei EcoVadis Branchen in Deutschland und Österreich. Bevor sie 2018 zu EcoVadis kam, war sie langjährig als Compliance Consultant tätig und vereint diese Expertise nun „beyond Compliance“ mit nachhaltigen Lieferketten und Corporate Social Responsibility als Wertschöpfungsfaktor in Geschäftspartnerschaften.

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